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Los geht's

«One Health» – mit neuem Gesundheitsverständnis gegen die nächste Pandemie

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Prolog

Text: Samuel Schlaefli
Gestaltung: Seraina Hügli & Lucas Pfister (Capisci)
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Jakob Zinsstag gehört zu einer Reihe von Forschenden, die schon früh vor den Risiken von Zoonosen gewarnt hatten – vor Infektionskrankheiten, die von Tieren auf den Menschen überspringen.

Seit über 20 Jahren unterstützt der Epidemiologe Staaten in Asien, Lateinamerika und Afrika dabei, Zoonosen einzudämmen. Dafür reisst er Mauern zwischen Human- und Veterinärmedizin nieder und pocht auf Forschung, die verschiedene Disziplinen verbindet und Betroffene involviert. Zinsstag hat das «One Health»-Konzept geprägt und kämpft als Pionier weltweit für dessen praktische Umsetzung.

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Wir fragen uns in dieser Webreportage: Wie kann die nächste Pandemie verhindert werden? Und welche Rolle spielt dabei ein Paradigmenwechsel in der Medizin hin zu einer «One Health»?
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Denn SARS-CoV-2 ist lediglich eines von tausenden Viren mit dem Potenzial, von Wildtieren auf den Menschen überzuspringen. Durch Waldrodung, die Zerstörung von Wildtierhabitaten und Massentierhaltung steigt dieses Risiko kontinuierlich. Die Ära der Pandemien hat laut Fachleuten erst gerade begonnen.
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Jakob Zinsstag hat uns für diese Webreportage sein persönliches Archiv aus 30 Jahren Feldforschung geöffnet. Die Illustrationen basieren auf seinen Fotografien und unseren persönlichen Begegnungen mit dem Forscher. Wichtige Aspekte einer «One Health» haben wir in Unterkapiteln und Interviews mit Expertinnen und Experten vertieft.
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Übersicht

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Nah am Tier

Vom Tierarzt im Jura zum
Forschungsleiter in Abidjan
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Wenn Jakob Zinsstag nicht gerade in der Mongolei, in Tansania, Burkina Faso, der Elfenbeinküste, in Guatemala oder in Äthiopien forscht, dann fand man ihn bis zum Umzug Ende letztes 2021 ziemlich sicher in seinem Büro am Tropeninstitut in Basel oder im «Tropeli», wie man in Basel gerne sagt. Offiziell heisst das Forschungsinstitut jedoch schon länger «Swiss Tropical and Public Health Institute» (Swiss TPH).

In der folgenden Bildstrecke haben wir einige Impressionen aus dem Forschungsalltag des vielgereisten Epidemiologen zusammengestellt.

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Durch den Eingang des klassischen Altbaus gelangt man in den öffentlichen Bereich, dort wo sich Generationen von Schweizer Missionaren, Entwicklungshelferinnen, Forschende und Reisende ihre Impfungen verpassen liessen – gegen Typhus, Tollwut, Diphterie, Hepatitis und Gelbfieber.
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Gegen Viren, die für die meisten von uns in eine andere Welt gehören. Eine Welt, in der für die Minderheit das Reiseabenteuer und das Trampen auf löchrigen Pisten beginnt, währenddem für die Mehrheit Armut, mangelhafte hygienische Verhältnisse und wiederkehrende Epidemien den Alltag bestimmen. Durch diesen öffentlichen Bereich, wo junge Rucksacktouristen neben international tätigen Unternehmerinnen und Ethnologen auf ihre Spritzen und Stempel warten, gelangt man in einen gesichtslosen Neubau. Dort besuchen wir Ende Juni 2021 erstmals den Epidemiologen Jakob Zinsstag.
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Audio: In Zinsstags bescheidenem Büro laufen Fäden aus aller Welt zusammen. Während eines Zoom-Calls mit einem Doktoranden aus Liberia und Forschenden des Institut Pasteur bespricht er Probleme bei der Isolierung von Tollwutviren. Dabei wechselt er mühelos zwischen Französisch und Englisch, den beiden wichtigsten Sprachen für seine Forschung.

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Zinsstags Doktorand Garmie Voupawoe erforscht Tollwutstämme in Liberia. Er hat versucht die RNA bei Hunden zu Isolieren, damit das Institut Pasteur diese analysieren kann. Doch bei der Entnahme der Samples ging etwas schief. Nun brüten die Forschenden tausende von Kilometern voneinander entfernt über Internet und Videotelefonie an möglichen Lösungen.
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Das Swiss TPH ist mit der Universität Basel assoziiert. Forschungsschwerpunkte sind Infektionskrankheiten, nicht-übertragbare Krankheiten, Abhängigkeiten zwischen Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit, sowie nationale Gesundheitssysteme. Die Forschenden arbeiten global in über hundert Ländern, vor allem solchen mit tiefen und mittleren Einkommen. Heute betreibt das Swiss TPH alleine 15 Forschungsstationen in Afrika, wovon das «Ifakara Health Institute» in Tansania und das «Centre Suisse de Recherche en Côte d`Ivoire» zu den Top-Gesundheitsforschungszentren des Kontinents zählen. Seit Anfang 2020 ist auch Covid-19 ein wichtiges Thema. Mehr als 20 Forschungsprojekte haben einen direkten Bezug zur aktuellen Pandemie.

Doktorierende aus dem Globalen Süden und der Schweiz forschen grenzüberschreitend, mal hier, mal dort. Zinsstags Bürotür steht ihnen stets offen. Zum Beispiel für Said Abukhattab, der die Hygiene bei der Geflügelverarbeitung in seinem Herkunftsland Palästina verbessern will und dort ein «One Health»-Zentrum aufbauen will. Oder für Ayman Ahmed, der an einer Dissertation zum Virom von Mücken in Sudan arbeitet, die als Zwischenwirte für die Übertragung von Infektionskrankheiten auf den Menschen dienen.
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Zinsstags Weg ans Swiss TPH ist einer vom Bauernhof an die Akademie. Als Kind entwickelt er früh einen natürlichen Umgang mit Tieren. Wo immer er als kleiner Bub ist, da sind Tiere. Zuhause sind es Katzen und Hunde, auf dem Hof seiner Grosseltern Kühe, Schweine und Hühner. Dort hilft er regelmässig, unterstützt beim Kälber gebären und mistet Ställe aus.

Nach dem Gymnasium studiert er Veterinärmedizin in Bern und beginnt 1986 als Assistenztierarzt im Jura. Er hilft Bauern, wenn plötzlich Rinder oder Pferde aus unerfindlichen Gründen krank werden und die Naturheilmittel und althergebrachten Heilrituale nichts mehr nützen. «Monsieur, on vous appelle parce que le secret n`a pas marché», sagen die Leute dann zu ihm (Wir rufen Sie weil die Geheimbehandlung nicht gewirkt hat). Zinsstag arbeitet fast so oft in Ställen, die mit Dung und Heu belegt sind, wie in seiner aufgeräumten Praxis. Und oft wird er auf den Höfen auch gleich noch für die Behandlung eines Leidens der Bäuerin oder des Bauern eingespannt.

Ende der 1980er-Jahre kommt bei Zinsstag Langeweile auf und die Neugier treibt ihn weg von den heimischen Bauernhöfen und hin zur Forschung in Afrika und Asien. Zwei Kontinente, die ihn seit klein auf faszinieren. 1994 übernimmt er die Leitung des «Centre Suisse de Recherches Scientifiques» in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste.

 


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Sein dortiger Start ist tragisch: Nachdem im November 1994 acht Schimpansen tot im Tai-Nationalpark aufgefunden werden, infiziert sich eine Doktorandin mit einem krankmachenden Virus. Sie hatte trotz anderslautender Anweisung durch Zinsstag ein Tier seziert. Nach Fieber, Durchfall, Erbrechen und fleckigen Rötungen auf der Haut und nachdem weder Malariatherapie noch Antibiotika die Symptome lindern können, wird sie von der Rega evakuiert und ins Universitätsspital Basel geflogen.  

Die Doktorandin hatte Glück, das daraufhin identifizierte «Tai Forest Ebola Virus» war weniger tödlich, als jener Stamm, der 20 Jahre später zu einer noch nie dagewesenen Ebola-Epidemie in Westafrika führen sollte. 11`000 Menschen starben am Virus, das nach einem Fluss in der Demokratischen Republik Kongo benannt ist, in dessen Nähe 1976 die erste Ansteckung bekannt wurde. Das Virenreservoir von Ebola liegt vor allem in Fledermäusen und Flughunden. Das Virus kann für Jahre verschwinden, bevor es plötzlich wieder auftaucht und auf den Menschen überspringt. Solche Infektionskrankheiten, die sowohl in Tieren als auch im Menschen vorkommen, und zwischen den Arten springen können, werden Zoonosen genannt.

Auf der folgenden Seite haben wir einige bekannte Zoonosen etwas genauer beschrieben.


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1920s HIV (Human Immunodeficiency Virus)

Virus: HIV
Natürliches Reservoir: Schimpansen für HIV Typ 1, und Russmangabe (Pavianart) für HIV Typ 2
Zwischenwirt: keiner
Erstmals aufgetreten: Kinshasa, Demokratische Republik Kongo
Verbreitung: Weltweit
Beschwerden: Grippeähnliche Symptome, Fieber, Gewichtsverlust, Zerstörung von T-Zellen und Immundefekt
Tote: Bis zu 47.8 Millionen (Stand Ende 2020)

1996 Vogelgrippe (Highly pathogenic avian influenza)

Virus: H5N1
Natürliches Reservoir: Wilde Wasservögel
Zwischenwirt: Geflügel
Erstmals aufgetreten: Guangdong, China
Verbreitung: Südostasiatische Länder (Über 100 Mio. Enten und Hühner starben oder mussten geschlachtet werden)
Beschwerden: Hohes Fieber, Atemnot, Lungenentzündung
Tote: 455 (Stand Dezember 2020)

1976 Ebola (Ebola virus disease)

Virus: Ebolavirus
Natürliches Reservoir: Wahrscheinlich afrikanische Flughunde und Fledermäuse
Zwischenwirt: Affen
Erstmals aufgetreten: Gleichzeitig in Demokratischer Republik Kongo und Südsudan
Verbreitung: Grösster Ausbruch bisher zwischen 2014 und 2016 in Guinea, Liberia und Sierra Leone
Beschwerden: Fieber, Erbrechen, Durchfall
Tote: 11`323 (2014 – 2016)

2003 SARS (Severe acute respiratory syndrome)

Virus: SARS-CoV
Natürliches Reservoir: Fledermaus (Hufeisennasen)
Zwischenwirt: Schleichkatzen (Larvenroller)
Erstmals aufgetreten: Guangdong, China
Verbreitung: 26 Staaten in Asien, Europa, Nordamerika und Südamerika
Beschwerden: hohes Fieber, Lungenentzündung
Tote: 916 (Stand Oktober 2021)

2012 MERS (Middle East respiratory syndrome)

Virus: MERS-CoV
Natürliches Reservoir: Wahrscheinlich Fledermäuse
Zwischenwirt: Kamele
Erstmals aufgetreten: Saudi-Arabien
Verbreitung: 27 Staaten, 2015 grosser Ausbruch in Südkorea
Beschwerden: Fieber, Durchfall, Atemnot
Tote: 888 (Stand Oktober 2021)

2019 COVID-19 (Coronavirus disease 2019)

Virus:
SARS-CoV-2
Natürliches Reservoir: Wahrscheinlich Fledermäuse
Zwischenwirt: Unbekannt (Stand Februar 2022)
Erstmals aufgetreten: Wuhan, China
Verbreitung: Weltweit
Beschwerden: Starkes Fieber, Brustschmerzen, Lungenentzündung, Verlust des Geruchs- und/oder Geschmackssinns
Tote: 5`727`698 (Stand 5.02.2022)

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Tschad 1998

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In den wohlhabenden westlichen Industrieländern waren sich die meisten Menschen bis zum Auftauchen von SARS-CoV-2 der Gefahren von viralen Infektionskrankheiten nicht mehr bewusst. Mit viel Forschung und Investitionen in Gesundheitssysteme war es uns gelungen, zoonotische Krankheiten, wie die Tollwut, auszurotten und uns gegen Epidemien, wie SARS, zu schützen. Für viele Menschen in Asien und Afrika sind zoonotische Infektionskrankheiten jedoch ein stetiger Begleiter, besonders für diejenigen, die in Armut leben. Anthrax, Tuberkulose, Brucellose, Tollwut, japanische Encephalitis, Lassa-Fieber und die Schlafkrankheit – bis heute leiden Millionen unter übertragbaren Krankheiten.

Vom Schweinebandwurm (Taenia solium), der von Schweinen auf Menschen übertragen wird, und zu Hirnhautentzündungen führen kann, sind jährlich 50 Millionen Menschen betroffen, davon 80 Prozent in südlichen Entwicklungsländern. 53 Prozent der globalen Ausbrüche von neuen Infektionskrankheiten zwischen 1996 und 2009 betrafen den afrikanischen Kontinent. Schon vor Covid-19 starben jährlich rund zwei Millionen Menschen an zoonotischen Krankheiten, allen voran in Ländern mit hoher Armut.

Wasserknappheit, fehlende Abfallentsorgung, die Abwesenheit eines funktionierenden Staates und Umweltzerstörung erhöhen das Risiko für Epidemien. Jakob Zinsstags Forschung ist deshalb meist eng mit der Entwicklungszusammenarbeit verwoben. Sie zielt nicht nur auf neues Wissen ab, sondern will gleichzeitig die Lebensumstände von Menschen verbessern. Seine Erkenntnisse erscheinen nicht nur in akademischen Zeitschriften, sondern auch im Alltag der Menschen.

1997 kontaktierte Marcel Tanner, der frühere Direktor des Swiss TPH, Zinsstag. Dieser war neben seiner Leitungsfunktion in Côte d`Ivoire gerade daran, seine Doktorarbeit in Epidemiologie zu verfassen. Tanner wollte ihn für ein Projekt zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Nomaden im Tschad gewinnen. Zinsstag sagte zu – eine Entscheidung, die seine gesamte akademische Karriere prägen wird. Für Nomaden sind Kamele, Rinder, Ziegen und Esel das wichtigste Kapital. Entsprechend eng leben sie mit ihren Tieren zusammen und sind dem Risiko von zoonotischen Erregern ausgesetzt.

Zinsstag begann seine Forschung 1998 am südöstlichen Ufer des Tschadsees und erkannte bald, dass zwar viele Tiere gegen eine Reihe von Krankheiten geimpft sind, nicht aber die Nomaden. Jemand sagte damals zu ihm: «Für die Gesundheit der Tiere sind wir verantwortlich; für unsere Gesundheit ist es Gott.» Kein einziges Kind war vollständig gegen Keuchhusten, Diphtherie oder Starrkrampf geimpft. Die Kindersterblichkeit war entsprechend hoch. Grund dafür war auch, dass die Nomaden durch die Maschen des nationalen Gesundheitssystems fallen, weil sie stets unterwegs sind und den Wasser- und Futterquellen hinterherreisen.
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Während Zinnstag in den sandigen Weiten des Tschads an Lösungen für die Public Health-Misere im Land grübelte, erinnerte er sich an das Werk des Amerikaners Calvin Schwabe, ein Veterinärmediziner und Epidemiologe, genauso wie er selbst. «Das war eine Art Erweckungserlebnis für mich», erinnert er sich. Schwabe forderte bereits in den 1960er-Jahren ein Zusammendenken von Veterinär- und Humanmedizin. Er hinterfragte die gängige Trennung zwischen einer Medizin für den Menschen und einer für Tiere. Zwischen den beiden Disziplinen gäbe es keinen paradigmatischen Unterschied, schrieb er, basierend auf Feldforschung mit Nomaden im Sudan. Die wissenschaftlichen Grundlagen seien für beide Disziplinen dieselben.

Wie die Medizinhistorikerin Abigail Woods in einem Buch zum Thema aufzeigt, wurde mit der Gründung der ersten Veterinärschule in Lyon im Jahr 1761 die Trennung von Tier- und Humanmedizin institutionalisiert. Der Gründer, Claude Bourgelat, wollte zwar auch einen Teil Humanmedizin an seiner Schule lehren, doch das wurde ihm verwehrt. «Damit begann in der Medizin das Denken in Silos», ist Zinsstag überzeugt. Seither gilt die Humanmedizin als Königsdisziplin, während den Tiermedizinern immer etwas Stallgeruch anhaftet. Oder wie der Forscher sagt: «Veterinäre gelten bis heute in den meisten Kulturen als Zweitklassmediziner.»
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Das menschliche Genom stimmt zu 99 Prozent mit demjenigen von Schimpansen überein und zu 95 Prozent mit demjenigen von Schweinen. Ein Virus, das ein Schwein dahinrafft, kann deshalb mit einiger Wahrscheinlichkeit auch beim Menschen Böses anrichten. «Es hat seine Gründe, dass praktisch jedes Medikament zuerst am Tier getestet wird, bevor es für den Menschen zugelassen wird», sagt Zinsstag. «Das Denken von Public Health-Systemen in einem Mensch-Tier-Kontinuum, in dem Viren und andere Pathogene sich relativ einfach hin und her bewegen können, ist deshalb zwingend.» Um den Menschen gegen Zoonosen, wie Tollwut, Ebola oder SARS-CoV-2 zu schützen, muss man übers Tier gehen, ist der Epidemiologe überzeugt.

Mit einem Fokus aufs Tier könnte zum Beispiel die Tollwut in Afrika oder Asien ausgerottet werden, ähnlich wie das vielerorts in Europa gelungen ist. «Mit zwei bis drei Milliarden Euro könnten wir sämtliche Hunde in den Städten impfen und diese fürchterliche Krankheit ausrotten», so Zinsstag. Die zoonotische Infektion wird meist über einen Hundebiss übertragen und ist ohne Impfung praktisch zu 100 Prozent tödlich. Sobald erste Symptome auftreten, ist es bereits zu spät. Bis heute sterben jährlich rund 60`000 Menschen an Tollwut, vor allem in Afrika und Asien. Dass sich dies verhindern liesse zeigte ein Team des Swiss TPH 2013 durch eine zweimalige integrierte Impfkampagne in der tschadischen Hauptstadt N`Djamena mit rund 1.5 Millionen Menschen und 35`000 Hunden. Die Tollwut konnte temporär ausgerottet werden. Seit Jahren weibelt der Forscher bei internationalen Organisationen und afrikanischen Regierungen für die Ausrottung der Tollwut.

Calvin Schwabe nannte seinen Ansatz einer integrierten Human-Veterinärmedizin «One Medicine». Im Tschad setzte Zinsstag diesen erstmals praktisch um. Wenn immer eine Veterinärmedizinerin nun in entlegene Dörfer fuhr, um dort Tiere gegen Anthrax und Peripneumonie zu impfen, nahm sie auch Gesundheitspersonal mit. Während sich die eine um die Impfung der Kühe kümmerte, nahm sich der andere den Kindern, Frauen und Männer an und impfte sie gegen Gelbfieber, Diphtherie, Tetanus und Pertussis.
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In einer Studie von 2007 konnten die Forschenden nachweisen, dass nach einem fünfjährigen Pilotversuch erstmal rund zehn Prozent der Kinder zwischen ein und elf Monaten komplett immunisiert waren, und dass die Rate an Impfungen durch das integrierte Programm von täglich 100 Impfungen bei Kindern und Frauen auf 130 angestiegen war. Indem die Ämter für Veterinär- und Humanmedizin nun eng kooperierten, konnten zudem die Transportkosten für Personal und Material sowie die Kosten zum Kühlen der Impfdosen stark reduziert werden. Laut den Forschenden hätte eine separate Impfkampagnen für Mensch und Tier rund 15 Prozent mehr gekostet. Die Nutzung von Synergien bei Transport und Kühlkette zahlte sich aus. Erstmals konnte ein Teil der Bevölkerung grundversorgt werden, der traditionell keinen Zugang zu einer Gesundheitsversorgung hatte.

Seit 1998 ist Jakob Zinsstag regelmässig für Forschung in den Tschad zurückgekehrt. Die folgende Bildstrecke zeigt einen Feldbesuch von 2013 bei einer Gruppe ethnischer Fulani am Tschadsee.
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Die Ära der Pandemien

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Zinsstag entwickelt Schwabes «One Medicine» zu einer Theorie der «One Health» weiter; zu einem holistischen Gesundheitsverständnis, das sich von der zunehmenden Spezialisierung in Veterinär- und Humanmedizin abwendet. Offiziell nutzt er den Begriff «One Health» erstmals 2005 in einem Artikel für das renommierte Fachmagazin «The Lancet». Dort berichtet er von seinen Erfahrungen im Tschad und skizziert Möglichkeiten eines Zoonose-Monitorings durch die integrierte Kontrolle von Viren bei Tieren und Menschen.

Zum Verdeutlichung des Potenzials einer «One Health» beschreibt er einen Ausbruch von Rifttalfieber in Mauretanien. Krankheitssymptome beim Menschen wurden dort versehentlich als Gelbfieber diagnostiziert. Erst nachdem der Veterinärdienst eingeschaltet wurde und dieser viele Fehlgeburten bei Nutztieren aufgrund von Rifttalfieber meldete, wurde auch beim Menschen die richtige Diagnose gestellt.

«Ein solcher zweigleisiger Ansatz könnte auch auf die Untersuchung von Wildtierpopulationen ausgedehnt werden, was aber selten passiert, weil unterschiedliche Institutionen sich um dieselbe Krankheit kümmern, oft jedoch in einer schlecht koordinierten Art und Weise», schrieb er 2005. Während Forschungsaufenthalten in der Mongolei und in Westafrika hatte er erkannt, dass Public Health- und Veterinärdienste oft nicht miteinander kommunizieren. Obschon dies in Hinblick auf Zoonosen und das Risiko von Epidemien naheliegend wäre. 
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Zinsstags Beitrag im «The Lancet» erschien neun Jahre nach dem ersten grossen Ausbruch der Vogelgrippe in Südostasien; sieben Jahre nach Ausbruch des Nipah-Virus in Malaysia und Singapur und zwei Jahre nach Ausbruch des SARS-Virus in China, das sich in 26 Staaten ausbreitete und beinahe eine Pandemie ausgelöst hatte. In Hinblick auf die Geschehnisse in Wuhan im Dezember 2019 wirken seine damaligen Forderungen beinahe prophetisch.

Die Anhäufung von antiviralen Medikamenten und die Forschung nach Impfstoffen alleine würden nicht ausreichen, um künftige Pandemien zu verhindern, so der Epidemiologe. Dringend müssten die Nutztierhaltung und Lebendtiermärkte an neue Risiken angepasst werden. Er machte darauf aufmerksam, dass Hühner und Schweine zunehmend als Reservoire für Infektionskrankheiten dienen. Denn die Massentierhaltung, mit tausenden von genetisch einheitlichen Tieren auf engstem Raum, bietet einen idealen Nährboden für die Ausbreitung von zoonotischen Erregern und für den Übersprung auf den Menschen. Deshalb müsse die Interaktion zwischen domestizierten Tieren und Wildtieren, die oft am Ursprung einer Pandemie stehen, unbedingt minimiert werden – vor allem auf Lebendtiermärkten, so Zinsstag im Jahr 2005. 
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Zinsstag wusste wovon er spricht. Während seiner Forschungsreisen in Asien und Afrika war er immer wieder schockiert über die Zustände auf Märkten, wo Wild- und Nutztiere auf engstem Raum gehalten, geschlachtet und verkauft wurden. Schlangen neben Geflügel, Pangolins neben Wildschweinen. Das Schlachtgut oft an praller Sonne für den Verkauf zur Schau gestellt, den Insekten und dem Verderben ausgesetzt.

«Solche Märkte sind reinste Virenschleudern», empört sich Zinsstag. «Sie gehören eigentlich verboten – oder zumindest viel besser überwacht.» Der vielgereiste Epidemiologe ist sich durchaus bewusst, dass die Forderung nach Verboten problematisch ist. Millionen von Menschen sind von solchen Märkten abhängig und sie sind bis heute tief im Alltag vieler Kulturen verankert.
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«Covid-19 kam für mich und die meisten Epidemiologen wenig überraschend», sagt Zinsstag. Zuviel habe auf einen baldigen Ausbruch hingedeutet: Allen voran die Zustände auf den stetig wachsenden Wildtiermärkten, die Intensivierung der Landwirtschaft und die genetische Einöde in der profitgetriebenen Massentierhaltung. Das Risiko, dass eine Pandemie durch einen zoonotischen Erreger ausgelöst werden könnte, ist seit der Warnung von 2005 kontinuierlich gestiegen. Allein zwischen 2011 und 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1483 Epidemien in 172 Staaten dokumentiert, darunter Grippe, SARS, Ebola, die Pest, Zika und Gelbfieber.

Die Risiken zoonotischer Infektionskrankheiten waren nicht nur in der Wissenschaft längst bekannt. Auch nationale und internationale Public Health-Institutionen warnten immer wieder vor einer kommenden Pandemie. Exemplarisch zeigen dies drei Berichte aus den Jahren 2005, 2012 und 2019.
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«A world at risk», WHO 2019 Wenige Monate vor Ausbruch der Coronapandemie warnten Fachleute der WHO eindringlich vor dem zunehmenden Risiko einer Pandemie. Die Welt sei nicht vorbereitet auf eine sich schnell ausbreitende, über die Atemwege übertragene Infektion. Aufgrund der kontinuierlich zunehmenden Mobilität könne sich ein Virus oder Bakterium innerhalb kürzester Zeit global ausbreiten. Sie rechneten vor, dass heute ein ähnlich ansteckendes Virus wie die Spanische Grippe von 1918 mit einer viermal grösseren Weltbevölkerung und viel mehr Flugreisen, in weniger als 36 Stunden global verteilt wäre. Die Folgen: 50 bis 80 Millionen Tote, Panik, politische Destabilisierung und ökonomischer Zerfall.

Council for Agricultural Science & Technology, 2005 Eine Task Force bestehend aus Foschenden, leitenden Angestellten nationaler Veterinärdienste und der WHO beschrieb die wichtigsten Treiber für die Ausbreitung von zoonotischen Erregern: Hohes Bevölkerungswachstum, steigende Mobilität, grassierende Umweltzerstörung, neuen Schnittstellen der Übertragung durch die Vertreibung von Wildtieren oder den Tierhandel, tiefgreifende Veränderungen in der Landwirtschaft, mit zunehmenden Monokulturen, genetisch identischen Tieren und übermässigem Einsatz von Antibiotika. Sie forderten von Staaten, mehr in das Monitoring von Zoonosen zu investieren.

«Ecology of Zoonoses», W. Karesh et al., Lancet 2012 Ein Team von Autoren um William Karesh, ein US-amerikanischer One Health-Pionier, weist in diesem Artikel darauf hin, dass zoonotische Infektionskrankheiten jährlich eine Milliarde Krankheiten verursachen und zu Millionen von Todesfällen führen. Die Autoren erkennen in endemischen Zoonosen das grösste Risiko für die Gesundheit der Weltgemeinschaft. Und sie fordern eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Ärzten in Kliniken, Public Health-Expertinnen, Ökologen, Veterinären und Ökonominnen, um die Ursachen für Zoonosen besser zu verstehen und wirkungsvolle Präventionsmassnahmen zu entwickeln.

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Das zunehmende Risiko einer Pandemie, wie wir sie aktuell mit Covid-19 erleben, war also längst bekannt. Der amerikanische Zoologe Peter Daszak spricht seit Jahren von einer «Ära der Pandemien»; der französische Gesundheitsökologe Serge Morand von einer «Epidemie der Pandemien». Auch Jakob Zinsstag ist davon überzeugt, dass Covid-19 nicht die letzte Pandemie gewesen sein wird. Im «One Health»-Ansatz sieht er jedoch unsere beste Chance, um dem Strudel aus Epidemien und Pandemien zu entkommen.  

Praktikerinnen und Praktiker einer «One Health» denken nicht nur in Krankheiten und möglichen Therapien. Sie denken vielmehr in «Mensch-Umweltsystemen», wie sie von der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom beschrieben wurden. Sie versuchen Antibiotikaresistenzen mit Ernährungssicherheit, Hygiene auf Tiermärkten, mit der Wasserversorgung und dem Risiko für zoonotische Krankheiten zusammenzudenken. Sie anerkennen, dass Gesundheitsvorsorge immer innerhalb von sozialen Systemen gedeiht oder verdirbt; dass Prävention und Therapie nur dann funktioniert, wenn diese an lokale Verhältnisse angepasst sind.

Oder wie Zinsstag sagt: «Es bringt nichts, Impfungen an Orte zu schicken, wo niemand versteht, wofür diese überhaupt gut sein sollen.» Und genauso wenig aussichtsreich ist es, Menschen für den Kampf gegen Zoonosen einspannen zu wollen, wenn diese noch nie von solchen gehört haben.
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Die Vorteile einer «One Health» für die öffentliche Gesundheit sind heute zumindest auf UN-Ebene breit anerkannt. Seit 2010 wird der Ansatz durch eine technische Kooperation von Weltgesundheits- (WHO), der Welttiergesundheits- (OIE) und der Welternährungsorganisation (FAO) vorangetrieben. Zu Beginn lag der Fokus auf der Vogelgrippe, Tollwut und Antibiotikaresistenzen, später kamen Ebola und Covid-19 hinzu. 2020 schloss sich auch das UN-Umweltprogramm (UNEP) der tripartiten Organisation an. Damit wurden die Abhängigkeiten zwischen Umwelt und Zoonosen auch auf UN-Ebene zunehmend in den Fokus gerückt. Seit Mai 2021 gibt es zudem ein «One Health High Level Expert Panel» (OHHLEP), in dem sich einige der weltweit besten Epidemiologen, Virologinnen, Immunologen und Umweltwissenschaftlerinnen auf zoonotische Krankheiten fokussieren.  

Seit der Pandemie sind Zoom-Workshops, Paneldiskussionen und interdisziplinäre Reports zum Thema «One Health» en vogue. Dutzende Entwicklungsorganisationen, NGOs und Think-Tanks lobbyieren für eine «One Health» oder sogar eine «Planetary Health». In einem Expertenbericht für die G20-Staaten vom Juni 2021 kommt der Begriff «One Health» 30 Mal vor – ohne dass auch nur einmal konkret definiert würde, was damit gemeint ist und wie dieser Ansatz operationalisiert werden könnte.

Im Oktober 2021 präsentierte ein Netzwerk bestehend aus 270 Hochschulen, NGOs und Organisationen des Gesundheitswesens die «Sao Paulo Declaration on Planetary Health». Sie listet zwar alle Übel der Welt auf – globale Erhitzung, abnehmende Biodiversität, zunehmende Ungleichheit – und spricht mit viel Pathos von der «Great Transition» und einer «resilient post-pandemic world», gibt aber kaum Hinweise darauf, was dies für die Reformierung des globalen Gesundheitssystems bedeutet. Und wie eine solche «Planetary Health» in die Praxis umgesetzt werden könnte.

Der Arzt und Klimaaktivist Eckhard von Hirschhausen sagte einmal treffend: «One Health ist wie der Weltfrieden. Alle finden ihn gut, aber niemand weiss, wie man diesen erreicht.» Auch Jakob Zinsstag hat den Schlüssel zum Weltfrieden nicht. Aber was die praktische Umsetzung einer «One Health» angeht, haben nur wenige so viel Erfahrung wie er.
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Auf Augenhöhe

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2016 reiste Jakob Zinsstag mit Ethnologinnen und Linguistinnen des Swiss-TPH in die Region Peten in Guatemala, um mit auf dem Land lebenden Maya-Gemeinden ein System zur Überwachung von zoonotischen Krankheiten aufzubauen. Sie litten in der Vergangenheit immer wieder an Ausbrüchen von Brucellose und Leptospirose, beides bakterielle Infektionen, die durch Tiere oder letztere auch durch verunreinigtes Wasser übertragen werden. Ziel der Forschenden war es, die biomedizinischen Ansätze des Swiss TPH mit den traditionellen Praktiken der Mayamedizin zusammenzubringen. Dadurch sollten Infektionsherde schneller lokalisiert werden und die Menschen effektiver behandelt werden können.

Sprache, ethnische Zugehörigkeit, Weltsicht, Werte und Kultur sind für die Umsetzung von Public Health-Interventionen zentral. Zinsstags Gruppe arbeitete deshalb eng mit der Ethnologin Mónica Berger González von der Universidad del Valle de Guatemala zusammen, die seit vielen Jahren zur traditionellen Medizin der Mayas forscht.

Die Forschenden mussten erst einmal die gewachsenen Hierarchien verstehen und lernen, wie die Mayas traditionell mit Krankheiten bei Tieren und Menschen umgehen. Dafür nutzte Zinsstag ein krankes Huhn als «boundary object», als ein verbindendes Objekt. Er liess das Huhn zuerst von einem Mayaheiler untersuchen. Dessen Diagnose: Der ganze Hof sei verhext, er müsse eine Exorzismus-Zeremonie durchführen, dann würde es dem Tier wieder besser gehen. Zinsstags Diagnose: eine Gastritis, einfach zu behandeln mit einem handelsüblichen Antibiotika.

Berger González erzählt im Projektvideo, wie die Mayas von Zoonosen betroffen sind, und welche Chancen sie in einer «One Health» für die Gemeinden sieht.

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Zinsstag und seine Kolleginnen setzten in Guatemala darauf, dass die Menschen selbst das beste Frühwarnsystem zum Entdecken von Zoonosen sind. Dafür mussten sie ein Verständnis dafür schaffen, wie Zoonosen funktionieren und weshalb diese gefährlich sind. «Für die Mayas sind Tiere grundsätzlich etwas Positives. Sie haben keine Vorstellung davon, dass Viren von Tieren auf Menschen überspringen und diese daran erkranken können», erzählt der Epidemiologe.
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Exakte Begriffe wurden definiert, mit welchen Dorfbewohnerinnen dem Pflegepersonal in einer lokalen Krankenstation in ihrer Sprache, dem Q`eqchi, mitteilen konnten, wie sich bestimmte Beschwerden anfühlen. «Die grösste Herausforderung in Guatemala war nicht medizinischer, sondern sprachlicher Natur», sagt Zinsstag. «Die Übersetzung war der Schlüssel zum medizinischen Erfolg.»
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Während vieler gemeinsamer Workshops mussten die unterschiedlichen Voten durch Übersetzerinnen von Q`eqchi` ins Spanische oder Englische – und wieder zurück – übersetzt werden. Gemeinsam wurden 23 Begriffe für Atembeschwerden, für Fieber und Durchfallsymptome definiert, die einem bekannten Krankheitsbild entsprachen. Zudem wurden Broschüren in der lokalen Sprache erarbeitet, die der Bevölkerung dazu dienten, sich gegenüber dem medizinischen Personal klar auszudrücken. Wenn immer nun jemand angab, er oder sie habe «susto» oder «itzel yax», dann wussten die Gesundheitsfachleute in den lokalen Krankenstationen: Vorsicht ist geboten, das könnte eine zoonotische Erkrankung sein, weitere Abklärungen sind nötig.
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Zum Kern des Projektteams in Guatemala gehörte Brigit Obrist. Die Ethnologieprofessorin der Universtät Basel ist mittlerweile emeritiert. Während beinahe 30 Jahren hat sie mit dem Swiss TPH zusammengearbeitet. Ursprünglich wollte sie Medizinerin werden, merkte dann aber bald, dass die klassische Biomedizin nicht ihr Ding ist. Während des Studiums in den USA lernte sie die «Medical Anthropology» kennen, also eine Ethnologie, die sich auf das Verhältnis zwischen Menschsein und Gesundheit fokussiert und darauf, dass die medizinische Praxis oft existenzielle Fragen zu Gesellschaft und Kultur aufwirft.

Wie bereits Jakob Zinsstag, wurde auch sie in den 90er-Jahren von Marcel Tanner kontaktiert, dem späteren Leiter des Swiss TPH. Er fragte die junge Ethnologin für eine Zusammenarbeit im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Gesundheit in der Stadt Dar es Salaam, Tansania, an. «Marcel Tanner hatte einen breiteren Blick auf Public Health, als die meisten anderen Gesundheitsexperten», erzählt Obrist. «Er hatte früh verstanden, dass Gesundheit immer auch mit Politik zu tun hat und dass auch sein eigener Blick auf Gesundheit in einem bestimmten Weltverständnis verhaftet ist.»

Für Obrist ist die Biomedizin, mit ihren Pharmazeutikprodukten, Medikamenten und Impfungen, genauso als kulturelle Errungenschaft unserer Gesellschaft zu verstehen, wie Erklärungsmodelle für Gesundheit und Krankheit anderer Gesellschaften.
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Rückblickend auf die Zusammenarbeit mit den Mayaheilern in Guatemala, sagt sie: «Es gelang uns am Ende nicht, eine epistemische Brücke zu schlagen zwischen den Forschenden aus der Schweiz, denjenigen aus Guatemala City und den lokalen Heilern.» Zu unterschiedlich sei das Verständnis von Gesundheit und Krankheit gewesen. Hinzu komme, dass für die Mayas in Peten die wahrgenommene Gefahr, die von zoonotischen Krankheiten ausging, im Kontext der schwierigen Lebensumstände gering war.

Als Obrist 2020 zum letzten Mal mit ihrer Forschungskollegin in Guatemala sprach, hatte sich die Gewalt durch Bandenkriege zugespitzt und die Armut verschärft. Viele Bauern und Bäuerinnen konnten ihr Land aufgrund der Bedrohung von mafiösen Grossgrundbesitzern nicht mehr bestellen. «Unter solchen Bedingungen interessiert sich niemand mehr für das Monitoring von Zoonosen.»

Hier sieht sie ein grundsätzliches Problem bei Gesundheitsinterventionen im Globalen Süden – auch bei «One Health»-Projekten: «Die sozialen und politischen Realitäten werden oft zugunsten von fokussierten Interventionen ausgeblendet, die sich primär an biomedizinischen Kriterien orientieren.» Wahrscheinlich sei der ursprüngliche Anspruch in Guatemala etwas überrissen gewesen, sagt die Ethnologin in Retrospektive. «Aber wir haben dabei auf jeden Fall sehr viel über die Bedeutung von gesellschaftlichen Prozessen in Bezug auf Gesundheit und Krankheit gelernt.»
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Audio: Brigit Obrist sieht im «One Health»-Ansatz grosses Potenzial für sozialen Wandel. Dafür müsse er jedoch mit politischen und sozialreformerischen Forderungen verbunden werden.

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Jakob Zinsstag blickt trotz Rückschlägen etwas weniger kritisch auf das Projekt in Peten zurück als Obrist: «Viele blieben ihrem Gesundheitsverständnis treu, aber wir konnten zumindest Optionen für die Bevölkerung schaffen», sagt er. «Manche Frauen entschieden sich nach unserem Projekt zuerst für eine Zeremonie mit einem Heiler in ihrem Dorf und gingen anschliessend zur Behandlung ihrer Infektion ins Spital.»

Was dieses Projekt für ihn auszeichnet, ist die gelungene transdisziplinäre Zusammenarbeit. Epidemiologen, Sozialwissenschaftlerinnen, Human- und Veterinärärzte aus der Schweiz und Guatemala haben eng mit lokalen Heilern, Dorfpräsidenten, Krankenpflegerinnen und Politikern zusammengearbeitet. Nur in einem solchen Dialog können seiner Meinung nach wirkungsvolle Strategien gegen die Verbreitung von Zoonosen entwickelt werden.

Als Präsident der Gruppe für transdisziplinäre Forschung bei der «Akademie der Naturwissenschaften» und als Ko-Präsident der OECD-Kommission für Transdisziplinarität, führt Zinsstag einen Kampf gegen festgefahrene wissenschaftliche Silos. Solche beobachtet er auch in der Schweizer Forschungsfinanzierung, wo seine wirklich systemischen und transdisziplinären Projekte bislang meist abgelehnt wurden.
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Ein Mann, eine Mission

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Ein sonniger Samstagnachmittag im Oktober 2021 in Sierre, einem beschaulichen Walliser Städtchen, das malerisch in die umliegenden Rebberge eingebettet ist: Marie Monique Robin, eine französische Journalistin und Regisseurin, hat Zinsstag und weitere Gäste auf ein Podium eingeladen. Sie hatte kurz zuvor das Buch «La fabrique des pandémies» veröffentlicht, indem es um die Ursachen der Covid-19-Pandemie geht. Darauf basierend dreht sie einen Dokumentarfilm, indem Zinsstag als Experte auftreten wird.

Rund 40 Zuhörer und Zuhörerinnen sind in den barocken Parkettsaal mit rosa Wänden und Engelreliefs im «Hôtel de Ville» gekommen. Zinsstag trägt einen schwarzen Anzug und ein weisses Hemd. Im Vergleich zu den anderen Podiumsteilnehmenden wirkt er etwas «overdressed».

Während des Podiums ist er bemüht, Bezüge zum Publikum zu schaffen. Dafür erzählt er die Geschichte der Tollwutbekämpfung bei Füchsen im Wallis. Hier gelang es 1978 mittels geimpften Hühnerköpfen, die von einem Hubschrauber als Köder abgeworfen wurden, das Rhonetal vor dem Virus zu bewahren. Aufgrund des Erfolgs wurden solche kilometerlangen «Impfmauern» in anderen Bergtälern nachgeahmt. Ab 1985 gab es die Tollwut nur noch im Mittelland. Wenige Jahre darauf war sie auch dort ausgerottet. «Eine Erfolgsgeschichte in der Bekämpfung von zoonotischen Seuchen», sagt der Epidemiologe.
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Audio: Als Jakob Zinsstag auf dem Podium leidenschaftlich von seiner Forschung in Afrika erzählt, hängt ihm das Publikum an den Lippen.

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Nach Abschluss des Podiums stellt sich der Forscher den Fragen des Publikums. Er ist zugänglich, an einem Austausch mit der Öffentlichkeit interessiert. «Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt: Wir müssen besser und breiter kommunizieren», sagt er. Ein Medizinstudent, der sich in seiner Freizeit für eine «One Health» engagiert, erzählt davon, dass er sämtliche wissenschaftliche Artikel von Zinsstag gelesen habe.

Auf dem Weg zum Auto bespricht er mit der Filmemacherin noch kurz einen geplanten Dreh zu einem «One Health»-Forschungsprojekt in Äthiopien. Danach fährt er gemeinsam mit seiner Frau Maria, einer reformierten Pfarrerin, zurück nach Basel. Bei einem epischen Sonnenuntergang über dem Lac Léman erzählt er von Skitouren auf dem Mont Blanc, die er gerne noch machen möchte, über Impfgegner in seiner Verwandtschaft und am Swiss TPH, darüber, dass er einst die grüne Ständerätin Maja Graf dazu angestossen habe, eine Motion in Bundesbern einzureichen bezüglich einer integrierten Tier/Mensch-Antibiotikaresistenz-Überwachung.

Zinsstag findet es wichtig, dass sich auch Forschende politisch äussern. Zum Beispiel zugunsten von mehr Klimaschutz. Er ist Parteimitglied der Grünen und werweisst gerade, ob er eine Petition der Klimaktivisten und -aktivistinnen von «Extinction Rebellion» unterzeichnen soll, die er mehrheitlich gut findet.
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Am darauffolgenden Morgen wird Zinsstag um 5.15 Uhr aufstehen, um vom Bruderholz, wo er wohnt, mit dem Velo zum Bahnhof zu fahren. Dort trifft er seine jüngste Tochter und fährt mit ihr mit dem Zug nach Berlin. Sie begleitet ihren Vater an den «World Health Summit», wo die Grossen der globalen Gesundheits- und Entwicklungszusammenarbeit auftreten: WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus, UN-Präsident Antonio Guterres, UNICEF-Dirketorin Henrietta Fore, Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité. Gleich fünf Panels an diesem Sonntag drehen sich direkt um Fragen der «One Health». Zinsstag wird auf einem sprechen, das den Titel trägt: «One Health: Good Practices and Challenges».

Während des moderierten Gesprächs diskutieren die fünf Expertinnen und Experten über die Notwendigkeit von Kollaborationen über verschiedene Sektoren hinweg, davon, dass das 1972 formulierte Ziel, dass Industriestaaten 0.7 Prozent ihres BIP für Entwicklungshilfe aufwerfen sollen, von den wenigsten Staaten erreicht wird (inklusive der Schweiz) und auch deshalb «One Health»-Projekte im Globalen Süden auf der Strecke bleiben. Auch von der Dringlichkeit neuer Curricula im Gesundheitssystem, die «One Health» miteinbeziehen und der Problematik, dass sich in der Akademie mit transdisziplinärer Forschung nur schwer Doktortitel gewinnen lassen.

Zinsstag erzählt von seiner Online-Vorlesung (MOOC) zu «One Health», mit der er nun jährlich über 1000 Studierende auf der ganzen Welt erreiche, open access, kostenlos für alle. «`Outreach` ist wichtig; wir müssen One Health viel breiter kommunizieren», sagt er.
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Wanda Markotter
Direktorin des Zentrums für virale Zoonosen, Universität Pretoria

John Amuasi
Co-Leiter «The Lancet One Health Commission»

Maria Flachsbarth
Staatssekretärin, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Marisa Peyre
Epidemiologin und Vizedirektorin Cirad

Jakob Zinsstag
Professor für Epidemiologe, Swiss TPH

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Maria Flachsbarth, CDU-Politikerin und Staatssekretärin beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fragt irgendwann: «Und wer soll das alles bezahlen?» Jakob Zinsstag antwortet: «One Health spart mittelfristig Kosten, wir müssen gar nicht dafür bezahlen.» Als Beweis führt er ein Brucellose-Projekt in der Mongolei an, wo die Kostenratio von One Health zu herkömmlicher Behandlung 1:3 gewesen sei. «Wenn die Ministerien im Gesundheitsbereich ihre Budgets zusammenlegen, profitieren alle!»
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Drei Tage nach dem «World Health Summit» in Berlin steht Zinsstag in einem Vortragssaal der ETH Zürich. Seine Präsentation trägt den Titel «Covid-19 aus der Perspektive von One Health». Rund 20 Interessierte sitzen mit Maske und gut verteilt im Saal.
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Zinsstag hat seinen Vortrag an den Austragungsort angepasst – eine technische Hochschule mit Weltrang. Er verbindet knochentrockene Epidemiologie – Folien vollgepackt mit mathematischen Formeln – mit abenteuerlichen Erzählungen von seiner Feldforschung in Afrika und Asien.

Mehr als bei früheren Veranstaltungen geht er auf die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der aktuellen Pandemie ein: «Die Covid-19-Pandemie ist extrem normativ. Wir müssen Anzahl Tote gegen den wirtschaftlichen Niedergang aufwiegen. Wie gewichten wir da Privatrecht gegen Gemeinsinn?», fragt der Epidemiologe. Für mich als Christ ist es ein Akt der Solidarität und Nächstenliebe, dass ich mich impfen lasse», sagt er an einer Stelle des Vortrags. Und er zeigt sich beeindruckt vom bisherigen Umgang der Schweiz mit der Pandemie. «Vielen ist nicht bewusst: Wir hatten hier einen der weichsten Lockdowns weltweit.»
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Audio: An der ETH Zürich erklärt Zinsstag nochmals die wichtigsten Aspekte einer «One Health» und betont die Notwendigket eines systemischen Denkens.

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In der anschliessenden Diskussion fragt eine junge Frau: «Der Mensch lebt ja seit Jahrhunderten eng mit Tieren zusammen. Weshalb wird das gerade jetzt zum Problem?» Zinsstag erklärt daraufhin das Phänomen des «Encroachments». «Wir gehen immer tiefer in die Urwälder rein und kommen immer öfter mit Wildtieren und ihren Viren in Kontakt. Das ist gefährlich.»

Zur Verbildlichung erklärt er das Aufkommen des Nipah-Virus im Jahr 1997 im Südosten Malaysias, in einem Ort namens Sungai Nipah. Dort hatten Unternehmer grosse Schweinezuchten unter freiem Himmel installiert. Zuerst starben die Schweine, kurz darauf erste Mitarbeitende, die zuvor an einer Hirnhautentzündung erkrankt waren. Später traf es auch Mitarbeitende eines Schlachthofs in Singapur. Das Fleisch war für den Export nach China bestimmt, denn im vorwiegend muslimischen Malaysia wird praktisch kein Schwein gegessen.

Wie sich nach Laboruntersuchungen herausstellte, lag das natürliche Reservoir des Virus in fruchtfressenden Fledermäusen. Solche wurden zuvor durch Brandrodungen für die Palmölproduktion aus ihrem natürlichen Habitat in Borneo vertrieben und suchten in den Fruchtbäumen entlang der Schweinezucht nach Fressen. Kot, Urin oder angefressene Früchte fielen in die Mastanlage, wo sich zuerst die Tiere und später die Menschen mit dem Virus infizierten. Die zoonotische Infektion verlief fast in der Hälfte der Fälle tödlich: Von 265 infizierten starben 108. Seither ist das Virus an verschiedenen Orten in Südostasien wieder aufgetaucht und hat bis 2018 über 700 Menschen infiziert.

Der Ausbruch des Nipah-Virus ist eine direkte Folge von Umweltzerstörung und Massentierhaltung. «Monokulturen sind ein Problem, denn je grösser eine homogene Population ist, desto einfacher können sich Viren ausbreiten», sagt Zinsstag. «Wir müssen die Biodiversität unbedingt wieder hochfahren und Landwirtschaft neu denken.»
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Äthiopischer Pilot

Für eine ganzheitliche
Zoonose-Überwachung
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In Äthiopien leben zehn Prozent der Bevölkerung als Nomaden oder Halbnomaden, vor allem in der Region Somali. Das sind rund zehn Millionen Menschen. Die abgelegene Region im äussersten Osten des Landes an der Grenze zu Somaliland gehört zu den ärmsten in Äthiopien. Unsichere Nahrungsversorgung, fehlendes Wasser, Dürren, schlechte sanitäre Infrastruktur und Landerosion bestimmen das Leben der Bevölkerung.

Wie Blutproben zeigen, werden Q-Fieber und das Rift Valley-Fieber regelmässig zwischen Menschen und Tieren übertragen. Aber auch die Rindertuberkulose (Mycobacterium bovis), die u.a. über die Milch auf den Menschen übertragen wird, sowie die Tollwut, Brucellose, Anthrax und die Vogelgrippe kommen immer wieder vor.

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Seit 2014 baut Zinsstags Team gemeinsam mit der Schweizer Tierärztin Rea Tschopp, die permanent in Äthiopien lebt, eine Partnerschaft mit der Jigjiga University in der Somali Region auf. Die «Jigjiga One Heath Initiative» (JOHI) ist ein organisatorisches Mammutprojekt: Um die Krankheiten besser überwachen zu können, musste das Team zuerst einmal alle Beteiligten mit ins Boot holen und sie von der Sinnhaftigkeit einer «One Health» überzeugen.

Ein somalischer Doktorand, mit dem Zinsstag eng zusammenarbeitet, besuchte dafür weit verstreute Nomadengruppen. Zugleich schmiedeten die Forschenden Kontakte zu Politikern auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene und organisierten partizipative Treffen mit der Bevölkerung. Schliesslich sollte die Zoonose-Überwachung in die offiziellen Gesundheitsinstitutionen integriert werden. Und um Forschungskapazitäten und «One Health»-Knowhow aufzubauen, wurde in Basel ein Austauschprogramm gestartet, über welches Doktorierende der Universität Jigjiga in Basel ausgebildet werden.

Jakob Zinsstag besucht seine Partnerinnen und Partner der «Jigjiga University One Health Initiative» in Äthiopien regelmässig, auch wenn dies im vergangenen Jahr durch die politischen Unruhen im Land immer schwieriger wurde. Die folgende Bildstrecke zeigt Impressionen eines Besuchs im Januar 2021.
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Im August 2017 besuchte Zinsstag erstmals ein Teilprojekt der JOHI, das von einem Masterstudenten vor Ort aufgebaut wurde: das «Integrated Rangeland and Disease Surveillance Response Office». In einem einfachen Lehmbau hangen an grün bemalten Wänden Kalender und Übersichtskarten der Region. Im Zentrum ein grosser Schreibtisch mit zwei PC-Arbeitsstationen. An der einen sitzt der Verantwortliche für die Überwachung von Infektionskrankheiten bei Tieren, an der anderen der Verantwortliche für die Überwachung beim Menschen. Die physische Nähe soll gewährleisten, dass der eine stets auf dem Laufenden ist, was beim anderen gerade läuft.

Hier werden sämtliche Daten der Zoonose-Überwachung gesammelt: Zum Beispiel die Analyseergebnisse von Milchproben. Wenn darin plötzlich Phleboviren auftauchen, die Rifttalfieber auslösen, werden die Dörfer in der Umgebung frühzeitig gewarnt. Das Virus, das über Milch, Blut oder Mücken auf den Menschen übertragen wird, kann Gehirninfektionen und innere Blutungen auslösen, die in 50 Prozent tödlich verlaufen.
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Eine Doktorandin von Zinsstag experimentiert aktuell mit den Möglichkeiten von Smartphones für die epidemiologische Lagebeurteilung. In einem Pilotprojekt werden Nomadengruppen, denen ein Mobiltelefon mit GPS zur Verfügung gestellt wird, telefonisch alle zwei bis vier Wochen von den Forschenden des JOHI kontaktiert. Dabei wird der Standort aufgenommen, nach der Gesundheit der Tiere und der Familie gefragt. Epidemiologen haben damit Echtzeitdaten zur Verfügung und können aufkommende Epidemien frühzeitig erkennen. Eine günstige und relativ einfach umsetzbare Art des Zoonose-Monitorings, die über Jigjiga hinaus Schule machen könnte.
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Audio: Zinsstag erzählt von den ersten Erfolgen einer integrierten Zoonoseüberwachung durch einen jungen Tierarzt in Äthiopien. Er ist überzeugt, dass das JOHI-Projekt Modellcharakter hat.

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Im Januar 2020 nahmen die Forschenden der JOHI mit Unterstützung des Swiss TPH ein Labor für molekulare Diagnostik bei Menschen und Tieren in Betrieb. Zwei Monate später traten in Äthiopien die ersten Covid-19-Fälle auf. Daraufhin fragte die lokale Somali Regierung bei Zinsstag an, ob sie im Labor auch Covid-19 Tests auswerten könnten. Kurzerhand wurde das Labor zum Covid-19 Testlabor umfunktioniert.

«Unser One Health-Labor war zu Beginn der Pandemie über tausende von Kilometern hinweg und für eine Bevölkerung von acht Millionen Menschen die einzige Möglichkeit, sich auf SARS-CoV-2 testen zu lassen», erzählt Zinsstag. Bis Dezember 2020 wurden im Labor 40'000 Covid-19-Tests ausgewertet. Danach ging eine Maschine kaputt. Aufgrund der politischen Turbulenzen im Land, konnte sie erst im April 2021 wieder repariert werden.
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«One Health» quo vadis?

Auf dem Weg zu einer Gesellschaft der
Mensch-Tier-Umwelt-Beziehungen
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Im Dezember 2021 ist Jakob Zinsstag in einen Neubau des Swiss TPH in Allschwil an der Grenze zu Basel-Stadt umgezogen. Sein Einzelbüro musste er aufgeben, stattdessen gibt es im stilvollen, mit Kletterpflanzen bewachsenen Neubau nun flexible Arbeitsplätze und «Teamheimaten». «Ich bin ehrlich gesagt noch ziemlich verloren», gesteht Zinsstag während unseres letzten Treffens Anfang Januar. Eigentlich hatte er geplant im Dezember auf Projektbesuch nach Äthiopien zu fahren. Doch aufgrund der Ausschreitungen in der Region Tigray und den zunehmend bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Land musste er den Besuch aufschieben. Dafür fliegt er kurz nach unserem Treffen nach Nairobi für Filmaufnahmen im Rahmen des Dokumentarfilms von Marie-Monique Robin. Daraufhin wird er in den Tschad weiterreisen, wo sein Team aktuell einen «Impfring» um die Hauptstadt N`Djamena aufbaut. An Checkpoints an der Stadtgrenze sollen sämtliche Hunde geimpft und dadurch die Tollwut ausgerottet werden.

24 Jahre ist es her, seit Zinsstag zum ersten Mal in den Tschad reiste, sich an Calvin Schwabes «One Medicine» erinnerte und begann, die Kinder mit den Ziegen zu impfen. Seither bestimmt die praktische Umsetzung einer «One Health» sein Leben, seither fordert der Epidemiologe unermüdlich: Mehr Investitionen in die Pandemieprävention, mehr Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizinern, mehr proaktive Überwachung von Pathogenen in Wild- und Nutztieren, die das Potential haben auf den Menschen überzuspringen.
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Zinsstag argumentiert häufig auch ökonomisch. Er zeigt gerne eine Grafik mit Kurven, die sich entlang einer X-Achse wie Kamelhöcker auftürmen. Ihre zentrale Aussage: Je früher ein Virus und mögliche Zoonosen entdeckt werden, desto grösser ist die Chance einen Krankheitsausbruch einzudämmen, bevor eine Pandemie vom Zaun bricht – und desto geringer sind am Ende die kumulativen Kosten.

Ist eine Pandemie nämlich erst einmal losgetreten, so wird es teuer. Der Weltwährungsfonds (IMF) prognostiziert die globalen kumulativen Verluste der Covid-19-Pandemie bis 2025 auf 22 Billionen US-Dollar. Der Wirtschaftseinbruch ist der heftigste seit 70 Jahren. Und wie immer trifft er die Ärmsten am härtesten: Die Weltbank warnte letztes Jahr, dass die Anzahl Menschen in extremer Armut bis Ende 2021 auf 740 Millionen ansteigen könnte. Das ist der erste signifikante Anstieg seit 20 Jahren. Viele der im Rahmen der UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) erreichten Fortschritte zur Armutsreduktion drohen durch die Pandemie wieder zu verpuffen.

Auch anderweitig hat uns Covid-19 die globale Ungleichheit nochmals drastisch vor Augen geführt: Laut WHO gingen mehr als 80 Prozent der Impfungen in die G20-Länder, also die reichsten Industrie- und Schwellenländer. Staaten mit niedrigen Einkommen, vor allem in Afrika, haben bis Ende 2021 0.6 Prozent der globalen Impfstoffe erhalten. Die Gesundheits- und Wirtschaftskrise ist auch eine humanitäre Krise.
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2012 rief die Weltbank ihre Mitglieder erstmals dazu auf, in eine systematische Kontrolle von Zoonosen zu investieren – in erster Linie aus ökonomischen Gründen. Allzu viel Gehör fand sie damit jedoch nicht. Heute werden weltweit pro Jahr rund vier Milliarden US-Dollar in die Prävention von Zoonosen investiert. Zum Vergleich: Das Budget der USA für nationale Sicherheit für 2020 betrug 714 Milliarden US-Dollar, also rund 180 Mal so viel. Lediglich zwei Milliarden US-Dollar gehen jährlich global in den Waldschutz und rund 260 Millionen in die Bekämpfung des illegalen Wildtierhandels. Beides wären wirkungsvolle Massnahmen, um Zoonosen und damit das Risiko künftiger Pandemien einzudämmen.

In einem Beitrag, der bald im medizinischen Fachmagazin «The Lancet» erscheinen soll, argumentiert Zinsstag mit 21 Kollegen und Kolleginnen, dass ein funktionierendes globales «One Health»-Präventionssystem um den Faktor zehntausend günstiger wäre als die aktuellen Ausgaben für die Covid-19-Pandemie. Die Forschenden fordern einen Paradigmenwechsel, weg vom Fokus auf die Detektion und Behandlung beim Menschen, hin zur Prävention und Kontrolle bei Tieren und entlang von «Mensch-Umweltsystemen». Die Evidenz, dass dadurch sowohl menschliche als auch tierische Leben gerettet werden könnten, und dies sogar bei tieferen Kosten, sei heute eindeutig, so die Experten und Expertinnen. Trotzdem ist eine konsequente nationale Implementierung einer One Health-Strategie, mit den dafür notwendigen Budgets, nach wie vor die Ausnahme.  

Wo man mit der Pandemieprävention beginnen könnte, ist längst klar: In einer Analyse, die 2020 im Magazin «Science» erschienen ist, berechneten Wissenschaftler die Kosten für die Bekämpfung von Zoonosen an den bekannten Hotspots durch Waldschutzprogramme, One Health-Initiativen und ein Verbot des Wildtierhandels. Das Ergebnis: 22 bis 31 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Nimmt man positive Nebeneffekte, wie die zusätzliche Speicherung von Kohlendioxid durch gesunde Wälder hinzu, wären es «nur» noch 18 bis 27 Milliarden. Die Forderung der Autoren und Autorinnen: Zumindest ein Teil der Milliardeninvestitionen für Stimulusprogramme im Rahmen der aktuellen Krise sollten in die Pandemieprävention fliessen.
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Es ist nicht so, dass es in der Vergangenheit keine grossen Initiativen für das Zoonosemonitoring und die Pandemieprävention gegeben hätte. Sie heissen «Predict», «Stop Spillover» und «Global Virome Project». Hunderte Millionen US-Dollar wurden darin investiert. Im Rahmen des zehnjährigen Projekts «Predict» der US-Entwicklungsagentur «USAID» wurden Virusübertragungen auf Menschen mit engem Kontakt zu Wildtieren in 31 Ländern kontinuierlich überwacht. Zugleich wurden Schulungsprogramme aufgebaut, um Gemeinden in der Nähe von Wäldern mit Wildtieren, die als grosses pathogenes Reservoir fungierten, für die Risiken von Zoonosen zu sensibilisieren. 

In der folgenden Vertiefung haben wir uns die wichtigsten globalen Initiativen angeschaut – und die Kritik daran.


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Kein Interesse bei globalen Impfkampagnen

Zinsstag ist überzeugt, dass die Chancen einer Medizin entlang von Mensch-Tier-Umweltsystemen in den meisten Köpfen noch nicht angekommen sind. Trotz der vielversprechenden Erfolge von praktischen «One Health»-Projekten, liege der Fokus nach wie vor einseitig auf Impfen und Therapieren. Er übt auch Kritik an globalen Impfprogrammen durch Stiftungen und UN-Organisationen. Sein Vorschlag, nicht nur Kinder, sondern auch Tiere zu impfen, um die Kinder besser vor zoonotischen Infektionen zu schützen, stiess dort bislang auf taube Ohren. Das passe nicht zur etablierten Strategie, hätten ihm die Verantwortlichen gesagt.

«An solchen Aussagen sieht man, wo die echten Hürden beim Paradigmenwechsel hin zu einer One Health liegen.» Das sei umso weniger verständlich, als es mittlerweile durchaus Beispiele gäbe, die zeigen, dass One Health in der Praxis funktioniert – und sich damit sogar Kosten sparen lassen. Einige solche Projekte haben wir auf der folgenden Karte zusammengestellt.




 
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Jigjiga One Health Initiative, Äthiopien
Die «Jigjiga One Health Initiative» in der äthiopischen Somali Region zeigt, wie One Health auf lokaler Ebene operationalisiert werden kann. Das Swiss TPH hat das Projekt 2014 gemeinsam mit der Jigjiga University (JJU) und dem norwegisch-schwedischen Armauer Hansen Research Institute (AHRI) initiiert. Finanziert wird es während 12 Jahren von der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA). Ziel ist die Stärkung lokaler Public Health-Forschung und Lehre sowie der Aufbau von Wissen und Kapazitäten. Gleichzeitig soll ein System für die integrierte Zoonoseüberwachung bei Nomaden etabliert werden.

One Health Office, Kenia
In Kenia gibt es seit 2011 ein nationales «One Health Office», in welchem Human- und Veterinärmediziner für die Prävention und frühzeitige Entdeckung von Zoonosen eng zusammenarbeiten. Dies prioritär in Hinblick auf Infektionskrankheiten wie Tollwut, Trypanosomosis, Dengue und Salmonellosis.

Canadian Science Centre for Human and Animal Health
Das «Canadian Science Centre for Human and Animal Health» in Winnipeg betreibt Labors für hochansteckende Krankheiten (Biosicherheitsstufe 4) bei Tier und Mensch unter einem Dach – und spart dadurch laut Schätzungen der Weltbank 26% der Betriebskosten.

Zoonose-Observatorium Emilia-Romagna
In Emilia-Romagna (Italien) ist seit 2013 ein integriertes Überwachungssystem für das Westnil-Virus in Betrieb. Das Virus, das über Mücken übertragen wird, hat sich in den vergangenen Jahren, auch als Folge der globalen Erhitzung, stark ausgebreitet. Moskitos, Wildvögel, Pferde und Menschen werden regelmässig beprobt, um mögliche Herde des Virus sofort einzudämmen. Laut den Forschenden, die das System konzipiert haben, konnte durch den integrierten Ansatz in sechs Jahren mehr als eine Million Euro eingespart werden, im Vergleich zu einer getrennten Überwachung von Tier und Mensch.

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Die Schweiz gehört weder zu den globalen Biodiversitätshotspots, noch sind bei uns offene Wildtiermärkte besonders populär. Trotzdem zeichnen sich bezüglich zunehmender Zoonosen auch bei uns neue Herausforderungen am Horizont ab: Zum Beispiel die Ausbreitung der Asiatischen Tigermücke, die Dengue-, Chikungunya-, Zika- und Westnil-Viren übertragen kann. Zinsstag sagt: «In der Emilia-Romagna in Norditalien, ist das Westnil-Virus bereits endemisch. Wir beobachten die Ausbreitung am Swiss TPH genau und erwarten jeden Tag den ersten Fall in der Schweiz.» Die Infektion verläuft beim Menschen zwar meist symptomlos, kann jedoch zu Fieber und in seltenen Fällen zu einer Meningitis führen. Eine Impfung dagegen gibt es nicht.
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Audio: Laut Jakob Zinsstag müsste die Zoonoseüberwachtung bei Tier und Mensch auch in der Schweiz gekoppelt werden. Heute sinde diese noch zwischen Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) getrennt.


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Angewandte Forschung gegen die Seuchen des Anthropozäns

Eine konsequent umgesetzte «One Health», wie sie Jakob Zinsstag und andere Pionierinnen und Pioniere verstehen, geht weit über die Optimierung von Gesundheitssystemen hinaus. Sie fordert auch ein Umdenken in den Wissenschaften. Mehr Investitionen in transdisziplinäre Forschung, die nicht nur Wissen generiert, sondern zu Veränderungen in Mensch-Tier-Umweltsystemen beiträgt. Dies anstelle einer zunehmenden Spezialisierung in der Gesundheitsforschung, einem einseitigen Fokus auf die Sequenzierung von Pathogenen und die Entwicklung von Medikamenten und Impfungen.

Im Juli 2020 schrieb Zinsstag als Ko-Leiter einen Bericht für das «Global Science Forum» der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OCDE). Dieser zeigt anhand von Fallbeispielen auf, wie transdisziplinäre Forschung dazu beiträgt, Lösungen für die grossen Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Und wie Regierungen und Universitäten solche fördern können. Die wichtigste Erkenntnis: Das Brückenbauen zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und das Hinarbeiten auf eine gemeinsame Sprache muss als eigene wissenschaftliche Exzellenz anerkannt werden.

Dafür sind auch neue Studiengänge mit einem transdisziplinären Curriculum nötig, damit Medizinerinnen und Veterinäre lernen, miteinander und mit Forschenden aus anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten. «Wir müssen die Rolle der Wissenschaften in Zeiten des Anthropozäns neu definieren», sagt Zinsstag. «Forschung muss heute mehr denn je zu konkreten Lösungen für die dringlichen Probleme unserer Zeit beitragen.»
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Stichwort Anthropozän: «One Health» stellt auch unsere gängige, menschzentrierte Perspektive in Frage. Sie fordert uns dazu auf, anzuerkennen, dass die uns umgebenden Ökosysteme und das Wohl der darin lebenden Tiere die Basis für sämtliches Leben auf Erden sind – auch dasjenige des Menschen. Insofern ist jeder gerettete Baum, jede verhinderte Palmölplantage in biodiversen Gebieten, jeder vereitelte Handel mit Wildtieren und jeder geschlossene Wildtiermarkt für den Luxuskonsum auch ein Stück «One Health». Und ein Beitrag zur Verhinderung der nächsten Pandemie.

Die Entwicklungen gehen derzeit aber in eine andere Richtung: Während des ersten Pandemiejahrs stieg die Rodung von Primärwald im tropischen Gürtel um 12 Prozent. In Brasilien hat die Abholzung für Landwirtschaftsflächen 2021 beinahe wieder den Höchststand von 2006 erreicht.

Die Weltbevölkerung, der Fleischkonsum, die Mobilität und die globale Erhitzung steigen weiter an. 2030 werden 60 Prozent der Menschen in Städten leben. Diese dehnen sich stärker in fragile Ökosysteme aus, wodurch neue, potenziell gefährliche Schnittstellen für Zoonosen entstehen. Geschätzte 1.67 Millionen unbekannte Viren lauern in tierischen Reservoirs in solchen Ökosystemen – und beinahe die Hälfte hat zoonotisches Potenzial; sie könnten also irgendwann auf uns überspringen.

Wie geht Jakob Zinsstag mit diesem deprimierenden Ausblick um? «Ich halte es mit Luther», sagt er. «Selbst wenn ich wüsste, dass die Welt morgen untergehen wird, würde ich heute noch einen Baum pflanzen.» Der Pionier wird weiter für eine «One Health» missionieren. Und mit der fortdauernden Covid-19-Krise stehen die Aussichten nicht schlecht, dass sein Gospel zunehmend auch über akademische Kreise hinweg erhört wird.
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Impressum

Recherche / Konzept / Text

Samuel Schlaefli Journalist & Redaktor
Werkraum Warteck
Burgweg 15
4058 Basel

text@samuelschlaefli.ch
www.samuelschlaefli.ch    


Illustration / Gestaltung / Produktion


Seraina Hügli & Lucas Pfister
Capisci – Visuelle Wissensvermittlung
Aargauerstrasse 70 / 24
8048 Zürich

ciao@capisci.ch
www.capisci.ch  


Diese Webreportage wurde im Februar 2022 in Zusammenarbeit mit der «NZZ am Sonntag» und dem «NZZ Magazin» publiziert und vom «Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus» und der «Gebert Rüf Stiftung» finanziell unterstützt. Wir bedanken uns herzlich dafür!

Texte, Illustrationen, Fotografien und andere Teile dieser Webreportage dürfen nur mit Zustimmung der Autoren und Autorinnen weiterverwendet werden. Diese übernehmen keine Haftung für die Inhalte von externen in dieser Geschichte verlinkten Webseiten. Sämtliche Bildrechte sind unter «Quellen» aufgelistet. Die Rechte an den Illustrationen liegen bei capisci.ch.





   
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Quellen und Bildrechte


Wichtige Quellen (Stand Februar 2022)


A world at risk. Global Prepardness Monitoring Board 2019 annual report, September 2019.

Has COVID taught us anything about pandemic preparedness? Nature news feature, 13. August 2021.

Benefits of Animal Interventions for Zoonosis Control. Emerging Infectious Diseases, April 2007.

Human impact on wildlife to blame for spread of viruses, says study. The Guardian, 8. April 2020.

Global assessment report on biodiversity and ecosystem services. Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), Mai 2019.

Outbreaks of vector-borne and zoonotic diseases are associated with changes in forest cover and oil palm expansion at global scale. Frontiers in Veterinary Science, März 2021.

Preventing the next pandemic: Zoonotic diseases and how to break the chain of transmission. United Nations Environment Programme and International Livestock Research Institute, Juli 2020.

Report of the scientific task force on preventing pandemics. Harvard Global Health Institute, August 2020.

Towards integrated surveillance-response systems for the prevention of future pandemics. Infectios Diseases of Poverty, Oktober 2020.

Does more environmental damage: eating meat from the wild or a factory farm? The Guardian, 26. Mai 2020.

Report on biodiversity and pandemics of the Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), Oktober 2020.

Zoonotic host diversity increases in human-dominated ecosystems. Nature, August 2020. 




 
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Bildrechte (Fotografien und Videos)

Bildstrecken:
Bildrechte für sämtliche Fotos und Videos (wo nicht anders vermerkt): Jakob Zinsstag / Swiss TPH

Video zu Guatemala in Kapitel "Auf Augenhöhe“:
Nido Films

Vertiefungen (jeweils der Reihe nach pro Vertiefung):

Vertiefung Zoonose:
 
1. Espen Rasmussen / VII / Redux / laif (Young men working as grave diggers in a large cemetery on the outskirts of Freetown help health workers in full protective clothing bury a body. Ebola Outbreak, Sierra Leone, 2015)  

2. UPI/laif (Transmission electron microscopic image of an isolate from the first U.S. case of COVID-19
   
3. The NewYorkTimes/Redux/laif (Mission Rabies staff gives anti rabies injection to a dog owned by local residence in Goa, India.)

4. Manu Quintero/Redux/laif (The Aedes Aegypti mosquito is the vector of Zika virus as well as Dengue and Chikungunya.)  

5. The NewYorkTimes/Redux/laif (A team of researchers catch bats as they fly out of the Khao Chong Phran Cave at dusk in Ratchaburi, Thailand, December 2020.)  

6. Frommann/laif (Petrischalen mit Bakterienkulturen)

7. Daniel van Moll/laif (A local burial team in Freetown, Sierra Leone retreiving corpses of Ebola victims from a township, 2014.)
   

Vertiefung Wildtiermärkte:  
1.Gilles Sabrie/NYT/Redux/laif (A wet market in Wuhan, China, January 11, 2021.)

2. ChinaFotoPress/laif (Vendors prepare to butcher poultry at Zhonghuan poultry wholesale market after the market was closed after bird flue cases on April 7, 2013 in Wuhan, Hubei Province of China.)

3. Michael Wolf Estate/laif (A man coming home with two turtles from the wildlife market in guangzhou, china: the asiatic softshell turtle, and a big headed turtle.)  

4. Roger Lemoyne/Redux/laif (A woman eats while tending a bush-meat street stall in Saigon, Vietnam in 1990’s.)  

5. Sinopix (A police officer inspects conditions at the Xinyang wild animal market in Guangzhou.)  

6. Sinopix/laif (Guangzhou animal market sells all kinds of animals in terrible conditions and slaughters many at the market.)  

7. Hitoshi Katanoda/Polaris/laif (Beijing, China: Workers wearing facial mask in the food market in the morning.)

8. Michael Wolf Estate/laif (Giant asian pond turtles for sale at market in Guangzhou, China.)

9. Gilles Sabrie/NYT/Redux/laif (Contact tracers in hazmat suits investigate a market where a COVID-positive traveler had visited merchants days earlier in Wuhan, China, Jan. 11, 2021.)

10. The NewYorkTimes/Redux/laif (Live young crocodiles, which are protected by law, awaited slaughter at the Friday bushmeat market in Mbandaka, DRC, in May 2016.)

11. Mark Leong/Redux/laif (A collection of medicines claiming to contain wild animal ingredients – mostly tiger but some antelope, pangolin and others.)

12. Michael Wolf Estate/laif (Chinese medicine. Snake wine for sale at a chinese market in Guangzhou, China)

13. U Aung Xinhua / eyevine / eyevine / laif (Confiscated elephant tusks are burnt during the destruction ceremony of confiscated elephant ivory and wildlife parts in Nay Pyi Taw, Myanmar, on Oct. 4, 2018.)

14. Mark Leong/Redux/laif (Evidence room at the Ministry of Forestry's Police Rapid Reaction Force headquarters in Medan.)

15. Stefano De Luigi / VII / Redux / laif (Scales of giant pangolin seized by french customs in Charles de Gaulle airport.)

16. Francesco Pistilli/laif (Most layer egg-hens live their lives in wire battery cages, Italy, 2015.)

17. Francesco Pistilli/laif (After weaning the swines stay in the same crowded cage for 4 to 6 months, then they're divided in 2 groups: fattening or reproduction. Italy, 2012)

18. John Stanmeyer / VII / Redux / laif (Dead chickens at the UD. Putra Bintang chicken farm as a consequence of Bird Flu. Bali, 2004.)

19. Hollandse Hoogte/laif (Minkfarm Rasmussen B.V. is one of the companies that protested against closure. Niederlande, 2012.)

20. Hollandse Hoogte/laif (Minkfarm Rasmussen B.V. is one of the companies that protested against closure. Niederlande, 2012.)    


Vertiefung Umwelt & Zoonosen:  
1. Maria Magdalena Arrellaga/NYT/Redux/laif (An aerial photo of a fire burning in the Brazilian state of Mato Grosso, Aug. 29, 2020.)

2. Patrick Aventurier/hemis/laif (Hmong cultures in the Amazon forest. French Guiana, 2019)

3. Victor Moriyama/NYT/Redux/laif (Land being burned for cattle grazing in the Amazon rainforest near Porto Velho, Brazil, Sept. 9, 2019.)

4. Kadir van Lohuizen / laif (A giant palm oil plantation in Mantangai. Kalimantan, Indonesia 2016.)

5. The NewYorkTimes/Redux/laif (An area of the Amazon rainforest in the Jamanxim National Forest which has been illegally slashed and burned stands next to a section of virgin forest in Novo Progresso, state of Para. Brazil, 2014.)

6. Aurelien Brusini/hemis/laif (Unexplored area on the border between the heart of the Amazonian Park of French Guiana and the Trinity National Nature Reserve, 2019.)

7. Lindsay Mackenzie/Redux/laif (A Pennant’s Red Colobus sits on a tree branch in the Gran Caldera de Luba Reserve. Equatorial Guinea, 2013.)

8. BOURSEILLER Philippe /hemis/laif (Malaysia, Borneo, Danum Valley Conservation Area.)

9. Joao Luiz Bulcao/Polaris/laif (The Amazon rainforest is becoming increasingly vulnerable to forest fires due to a combination of droughts, climate change and human activities. Brazil, 1998.)

10. Joshua Stevens/NYT/Redux/laif (An image provided by NASA's Earth Observatory shows a map of fires burning in South America as seen in a mid-August 2019 satellite image.)

11. The NewYorkTimes/Redux/laif (Munduruku men and boys survey the damage to their tribe’s protected land caused by illegal gold miners in Posto de Vigilancia. Brazil, 2018.)

12. Polaris/laif (The mosquito-borne Zika virus, which is suspected of causing brain damage to babies in Brazil, is expected to spread to all countries in the Americas except for Canada and Chile. USA, 2016.)

13. Damon Winter/NYT/Redux/laif (A piece of heavy farm equipment works a sea of red dirt, where native forest once stood, as the field is prepared for soy bean cultivation, in Mato Grosso. Brazil, 2009.)    


Vertiefung Globale Initiativen:  
Alle Bilder (ausser 2, 3, 5) von der Serie «The Virus Hunters» von Simon Townsley. Wir danken dem Fotografen für die Unterstützung!  

Bild 2: Mehmet Demirci/Redux/laif (The first COVID-19 vaccine doses arrived in bulk to North Carolina Monday morning December 18, 2020.)

Bild 3: Alecsandra Dragoi / Guardian / eyevine / laif (AstraZeneca unveils The Discovery Centre (DISC) in Cambridge. 23.11.2021)

Bild 5: Institut für Virologie und Immunologie IVI/NZZ    


Vertiefung One Health Schweiz:  
1. Frieder Blickle/laif (Milchkühe auf dem Rückweg von der Weide zum Bauernhof. Schweiz, 2009.)

2. Institut für Virologie und Immunologie IVI/NZZ

3. Ruben Sprich Xinhua / eyevine / eyevine / laif (Swiss Secretary of State Roberto Balzaretti, Swiss Foreign Minister Ignazio Cassis, Swiss President Alain Berset and Finance Minister Ueli Maurer attend a news conference in Bern. Switzerland, Dec. 7, 2018.)

4. Institut für Virologie und Immunologie IVI/NZZ





 
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Jakob Zinsstag an einer Forschungssitzung
im Rahmen der «Jigjiga One Health Initiative»
(JOHI) an der Universität Jigjiga in Äthiopien.

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Der Epidemiologe im Gespräch mit Dr. Bashir,
dem Präsidenten der Universität Jigjiga in der
Somali Region von Äthiopien.

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Das Team der «Jigjiga One Health Initiative» (JOHI) mit einer Mitarbeiterin der Direktion für Entwicklungs- zusammenarbeit (DEZA) am Flughafen von Gode, Somali Region, Äthiopien.




 
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Im Gespräch mit einem Mitarbeiter des Ultraschalldiensts im Spital von Dlanzadgad, in der Provinz Gobi, Mongolei.




 
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Blutprobeentnahme bei Schafen in Kirgistan für einen Brucellose-Nachweis.

 
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Globale Feldforschung: Der togolesische
Tierarzt Bassirou Bonfoh trifft gemeinsam
mit Jakob Zinsstag kirgisische Bäuerinnen
und deren Kinder.
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Jakob Zinsstag auf einer Forschungsreise in der mongolischen Provinz Gobi. Dort sind Kamele ein Reservoir für den Hundebandwurm.
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Video Guatemala-Projekt

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Fotoserie Äthiopien




Dieser Mann hat sich mit einer
Anschubfinanzierung der «JOHI»
eine Apotheke mit Tiermedikamenten
aufgebaut, die sonst in der Somali
Region nur schwer erhältlich sind.
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Ein Standardantibiotika für die Behandlung von bakteriellen Infektionen bei Rindern und Ziegen.
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Eine Gruppe Somali ruht sich
im Schatten eines Baums aus.
Im Hintergrund stehen Tafeln
mit Koransuren.
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Steinmühle und Smartphone:
Uralte und neuste Technologien
koexistieren oft in den Einsatz-
gebieten der Swiss TPH-Forschenden. 
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Jakob Zinsstag mit Partnern im Rahmen der «JOHI». Rechts sitzt der Direktor des Universitätsspitals, links der Präsident der Universität Jigjiga.
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Die Forschenden im Gespräch mit einer Frauengruppe. Die «JOHI» soll auch zu einer besseren Gesundheitsversorgung von Frauen und fachlicher Unterstützung bei Geburten beitragen.
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Eine Somalifrau erzählt von Ihren
Erfahrungen im Rahmen der «JOHI».

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Sharmarke Dugsyie ist ein Doktorand in Soziologie innerhalb des JOHI-Projekts.

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Vertiefung (illegaler) Wildtierhandel & Wildtiermärkte

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«Wuhan Huanan Seafood Wholesale Market» – dieser Name sorgte Anfang 2020 weltweit für Schlagzeilen. Auf diesem «wet market», einem Frischmarkt mit Lebendtieren, lag mit grosser Wahrscheinlichkeit das Epizentrum der Covid-19-Pandemie. Im Dezember 2019 waren erstmals mehrere Personen, die auf dem Markt eingekauft hatten, mit einer unbekannten Lungeninfektion hospitalisiert worden. Laut WHO hatten 55 Prozent der ersten Covid-19-Patienten Kontakt zum Huanan Market oder einem anderen Markt in Wuhan.

Die meisten Epidemiologinnen und Virologen kamen mittlerweile zum Schluss, dass SARS-CoV-2 eine zoonotische Herkunft hat. Die alternative «Lab leak»-Theorie, nach der das Virus aus einem Labor in Wuhan entwichen ist, konnte bis heute nicht vollständig widerlegt werden, gilt den meisten Expertinnen und Experten aber als unwahrscheinlich. Doch weshalb fand der entscheidende «Spill-over», also der Übersprung des Virus vom Tier auf den Menschen, gerade hier statt, auf einem Markt inmitten des Zentrums der 9-Millionen-Stadt Wuhan, Provinz Hubei, 800 Kilometer westlich von Shanghai?

Einen guten Einblick in die Zustände vor Ort gibt eine im Juli 2021 veröffentliche Studie im Fachmagazin «Nature» einer Gruppe um den Oxford-Zoologen Chris Newman mit Beteiligung von Forschenden aus China und Wuhan. Xiao Xiao, einer der Forscher, der am «Lab Animal Reseach Center» in Wuhan arbeitet, besuchte zwischen Mai 2017 und November 2019 monatlich 17 «wet markets» in Wuhan, die Wildtiere verkauften, darunter auch der berüchtigte «Wuhan Huanan Seafood Wholesale Market». Dort sprach er mit den Verkäuferinnen und Verkäufern und notierte sich, welche Tiere verkauft wurden, wieviel davon, zu welchem Preis und ob die Tiere aus Zuchten stammten oder in der Wildnis gefangen wurden.

Eigentlich sollten Daten zur Verbreitung des SFTS-Virus gesammelt werden, einer zoonotischen Infektionskrankheit, die seit 2011 in Teilen Chinas, Koreas, Vietnams und Japans endemisch ist und an der bis zu 30 Prozent der Infizierten starben. Heute dienen seine Daten, um etwas Licht ins Dunkel der Ursprünge der Covid-19-Pandemie zu bringen. Zum Beispiel scheint unwahrscheinlich, dass SARS-CoV-2 von einem Pangolin oder einer Fledermaus auf den Menschen übertragen wurde, wie zu Beginn der Pandemie noch angenommen. Denn keine der beiden Wildtierarten wurde laut der Studie auf dem Markt verkauft.
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Zwischen Mai 2017 und November 2019 wurden auf 17 Märkten in Wuhan mindestens 47`381 Wildtiere verkauft. Darunter 38 Arten von Säugetieren, Vögeln und Reptilien; 31 davon stehen unter internationalem Schutz.

Nature, Juni 2021

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Man kann sich die Wildtierabteilung des Marktes in Wuhan vor Dezember 2019 wie einen kleinen Zoo vorstellen – jedoch ohne die in Zoos üblichen hygienischen Sicherheitsvorkehrungen. Und ohne ein Mindestmass an Platz und Vorkehrungen für die Tiergesundheit. Marderhunde, Schleichkatzen, Feuerwiesel, Stachel- und Wildschweine, Vipern, Kobras und sogar Siam-Krokodile wurden in Wuhan in Käfigen gehalten. Die Tiere, oft durch Transport und die enge Haltung bereits in erbärmlichen Zustand, wurden meist lebendig an Kunden und Kundinnen für den Verzehr verkauft. Bei Bedarf wurden sie auch gleich am Stand geschlachtet.

Es ist nicht so, dass der Wildtierhandel in China vor Ausbruch der Pandemie nicht gesetzlich geregelt gewesen wäre. Verkäufer waren verpflichtet, ein Herkunfts- und Quarantänezertifikat für die gehandelten Tiere vorzuweisen. Auf den Märkten, welche der chinesische Forscher besucht hatte, war dies jedoch nicht der Fall. Sämtlicher in Wuhan beobachtete Wildtierhandel war somit eigentlich illegal. Bei sechs Säugetierarten fanden die Forschenden bei fast einem Drittel der Tiere Schussspuren oder Verletzungen, die durch Fallen verursacht werden und auf illegale Jagd hindeuten.
In einer Studie von 2020, haben amerikanische und australische Forschende 142 zoonotische Viren genauer untersucht. Sie kamen zum Schluss, dass das Risiko eines Spillovers bei gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Arten am höchsten ist.

Weder die fehlenden Papiere, noch die illegale Fangart schienen für die Beamten des «Wuhan Forestry Bureaus», die für die Kontrolle des Wildtierhandels zuständig sind, auf ihren Streifzügen über die Märkte Grund zur Besorgnis.
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Ideale Bedingungen für «Spillovers»

Zustände, wie sie auf den Märkten in Wuhan herrschten, sind für Virologen, Epidemiologinnen und Public Health-Verantwortliche ein Horrorszenario: Dutzende Wildtierarten unter einem Dach, auf engstem Raum zusammengepfercht, unter Angst und Stress, ohne griffige Hygienekontrolle und Massnahmen für Tiergesundheit und Artenschutz. Es sind Bedingungen wie geschaffen dafür, dass sich Pathogene vervielfachen, ausbreiten und auf andere Arten überspringen können.

Kommt hinzu, dass durch die Schlacht vor Ort, Verkäufer und Kundinnen dem ständigen Risiko ausgesetzt sind, mit Körperflüssigkeiten (Blut, Fäkalien, Speichel) von infizierten Tieren in Kontakt zu kommen. Was sich inmitten der Millionenstadt Wuhan zwischen 2017 bis 2019 auf den Wildtiermärkten zusammenbraute, war der perfekte Sturm.

Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, von welchem Wildtier das Virus ausging und wie es auf den Menschen übersprang.  Möglichkeiten gibt es viele: Von den 38 in Wuhan dokumentierten Wildtierarten waren seit 2009 in 33 zoonotische Pathogene entdeckt worden – in Wildpopulationen, auf Märkten oder auf kommerziellen Farmen. Gefunden wurde Tollwut, SFTS, H5N1 und eine Reihe für den Menschen schädlicher Bakterien. Der Larvenroller, eine Schleichkatzenart, welche auf Wuhans Märkten verkauft wurde, gilt als Träger von SARS-CoV-1 und wird mit dem SARS-Ausbruch von 2003 mit 800 Toten in Verbindung gebracht.
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«Es wäre sinnvoll die Lebendtiermärkte zu verbieten, so wie es China und andere Länder getan haben. Wir müssen aber auch daran denken, dass es Gemeinschaften gibt, vor allem in ländlichen Gebieten in Afrika mit tiefen Einkommen, die von Wildtieren abhängen, um die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen zu sichern.»

Elizabeth Maruma Mrema, Generalsekretärin «Convention on Biological Diversity» der UN


 
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Verbote – aber mit welchen Folgen?

Wenige Wochen nachdem der «Wuhan Huanan Seafood Wholesale Market» geschlossen worden war, verbot die chinesische Regierung am 26. Januar 2020 den Verkauf von Wildtieren und daraus hergestellten Produkten auf Märkten, in Restaurants und auf dem Internet. Dafür gab es viel Lob. Sofort wurden auch Rufe laut, dass «wet markets» weltweit geschlossen werden sollten. Am 6. April schickten über 240 Natur- und Artenschutzgruppen einen offenen Brief an die WHO, in dem sie forderten, dass sich diese für das sofortige Verbot von Lebendwildtiermärkten und Wildtierprodukten für die traditionelle Medizin einsetzt.

Für Millionen von Menschen ist der Konsum von Wildtierfleisch bis heute stark kulturell verankert – er gilt als normal, traditionell und gerade im Vergleich zur industriellen Massentierhaltung als gesund und wünschenswert. Die tausenden von Kleinmärkten, auf welchen frisches Fleisch von Nutz- und Wildtieren gekauft wird, sind vor allem in Asien und Afrika äusserst beliebt.

Die meisten «wet markets» beschränken sich auf Frischfleisch von Nutztieren und Fisch, die Minderheit verkauft lebendige Wildtiere wie in Wuhan. Auf dem Land wiederum ist die Jagd von Wildtieren für viele ein wichtiger Bestandteil der Nahrungsversorgung, besonders für indigene Bevölkerungsgruppen. Kritiker eines generellen Verbots des Wildtierhandels und -konsums argumentieren deshalb, dass damit eine wichtige Proteinquelle für Millionen von Menschen verloren ginge und vor allem arme und vulnerable Gemeinschaften bestraft würden.

In Zentralafrika zum Beispiel versorgen Menschen ihren Proteinbedarf bis zu 50 Prozent über «bush meat», also Fleisch aus dem Wald. Möchte man diese Proteine über Viehzucht ersetzen, so müssten enorme Flächen an Regenwald gerodet werden, argumentiert Robert Nasi vom «Center for International Forestry Research».

Auch gebe es keinen direkten empirischen Zusammenhang zwischen Verboten und der Reduktion des Pandemierisikos, sagte Stephanie Brittain, die an der Oxford University zu Naturkonservierung forscht, gegenüber des britischen «Guardian». Ein Verbot von Wildtierfleisch würde ihrer Meinung nach vor allem dazu führen, dass dieser ausserhalb von Kontrollen im Untergrund und auf illegalen Märkten stattfindet – mit dem Ergebnis, dass das Risiko von Zoonosen sogar noch ansteigen könnte.
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Undurchsichtiges Milliardenbusiness

Der Konsum von Wildtieren und der Handel damit haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr von einer Notwendigkeit hin zu einem Luxus für Reiche entwickelt. Auf den Märkten in Wuhan kosteten Murmeltiere im Durchschnitt 25 USD pro Kilo; etwa fünfmal so viel wie ein Kilo Schweinefleisch. Die teuerste Schlange, eine grosse Viperart, wurde gar für 70 USD pro Kilo verkauft. Studien aus China zeigen, dass Männer mit hohen Einkommen und guter Ausbildung in Städten am ehesten Wildtiere essen. Der florierende Handel mit Wildtieren ist zumindest teils auch mit dem kometenhaften Wirtschaftsaufschwung Chinas zu erklären. 

Professionelle Wildtierzuchten haben in den vergangenen Jahren vor allem in China stark expandiert. 2016 wurden mit «nicht-traditionellen» Tierzuchten rund 77 Milliarden US-Dollar umgesetzt und 14 Millionen Menschen beschäftigt. Das chinesische Online-Magazin «Sixth Tone» erzählte kürzlich die Geschichte des Bauern Wei Ningxiang, der auf seiner Farm in Guangxi rund 7000 Kobras und andere orientalische Schlangen züchtete, um sie an Restaurants zu verkaufen. Vor den strengeren Regulierungen 2020 sollen im autonomen Gebiet in Südchina gesamthaft 20 Millionen Schlangen für den Verkauf gezüchtet worden sein.
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Zwischen 7 und 23 Milliarden US-Dollar wird jährlich mit illegalem Wildtierhandel umgesetzt.

Schätzung der «Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services» (IPBES)
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Trophäen und traditionelle Medizin

Der Wildtierhandel ist zum globalen Milliardengeschäft geworden. Gut organisierte legale und illegale Wildtierjäger und -händler sorgen dafür, dass die aufstrebende Mittelschicht in Millionenstädten Asiens und Afrikas mit Wildtieren für den Verzehr, für traditionelle Medizin oder für Trophäen versorgt werden. Die Schuppen von Pangolins zum Beispiel werden vielerorts in Asien als Ingredienz für die traditionelle Medizin verwendet. Das Fleisch wiederum gilt als Delikatesse. Die Folge: Pangolins wurden zum meistgejagten Tier überhaupt. Nachdem die vier asiatischen Arten beinahe ausgerottet waren und unter Schutz gestellt wurden, wird die asiatische Nachfrage heute vor allem durch importierte Pangolins aus Afrika gestillt. Je grösser dort die Armut bei Menschen ist, die nahe an Wildtierhabitaten leben, desto mehr jagen sie. Das zeigen Studien aus Ghana, Kamerun, Tanzania und Madasgascar.

Wildtiere werden auch als Haustiere, für Zoos und als Trophäen gehandelt, vor allem in den USA und Europa. Der durch legalen globalen Wildtierhandel erzielte Profit hat sich in den vergangenen 14 Jahren mehr als verfünffacht. 2019 betrug er rund 107 Milliarden US-Dollar. Mit zehn bis 20 Millionen marinen und terrestrischen Wildtieren pro Jahr, gehören die USA heute zu den grössten Wildtierimporteuren der Welt; mit einem rasanten Anstieg zwischen 2000 und 2015.

Das birgt Risiken: 2003 wurde erstmals die zoonotische Affenpocken in die USA eingeführt, 71 Menschen infiszierten sich. Das Virus tritt in Ländern Zentral- und Westafrikas regelmässig auf und kann tödlich verlaufen. Wahrscheinlich wird es durch den Kontakt mit Buschfleisch übertragen und war über ein importiertes Wildtier in die USA eingeführt worden. Spätestens seit dem Netflix-Blockbuster «Tiger King» wissen wir auch, dass in einigen US-Bundesstaaten ein «Laissez-faire» bezüglich des Imports und der Kommerzialisierung von Wildtieren herrscht.

Juhani Grossmann ist Teamleiter beim «Green Corruption»-Programm des «Basel Institute on Governance». Er beschäftigt sich in seiner Forschung vor allem mit den Geldflüssen hinter dem Wildtierhandel. «Die organisierte Kriminalität hat den Wildtierhandel schon lange für sich entdeckt», sagt er. «Oft sind die gleichen Netzwerke wie im illegalen Waffen- und Drogenhandel im Spiel.» Sein Team unterstützt Regierungen dabei, solche illegalen Netzwerke aufzudecken. «Dabei verfolgen wir einen `follow the money`-Ansatz und schauen uns die Geldflüsse an, um wichtige Akteure ausfindig zu machen.»

Wir haben bei Grossmann nachgefragt, wie gross er die Risiken des Wildtierhandels in Bezug auf Zoonosen einschätzt.
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Viren «heranzüchten» in der Massentierhaltung

Albträume bereiten Fachleuten für Zoonosen nicht nur Wildtiermärkte, sondern auch die Ställe in der intensiven Landwirtschaft. Hier findet sich ein weiterer idealer Nährboden für Zoonosen mit Pandemiepotenzial. In China gibt es heute Farmen mit bis zu 100`000 Kühen, in Australien und den USA mit bis zu 50`000. All diese Tiere leben auf engstem Raum; ansteckende Krankheiten können sich wie ein Lauffeuer verbreiten, fehlende Hygiene wirkt sich verheerend aus.

Die Seuchen, verursacht durch Mers, Sars, BSE, die Vogel- und Schweinegrippe, sie alle stehen in Verbindung mit intensiver Rinder-, Schweine- oder Geflügelzucht. Durch die Industrialisierung und Standardisierung der Landwirtschaft ging die genetische Vielfalt bei den Tieren verloren, was zunehmend zum Gesundheitsrisiko für den Menschen wird. Ist erstmals ein Virus auf einen Hof eingeschleppt, so verbreitet sich dieser rasend schnell und kann zu Versionen mutieren, die auf den Menschen überspringen.

Die Zunahme von Zoonosen hängt deshalb direkt mit unserem Fleischkonsum zusammen. Dieser hat sich global seit 1961 vervierfacht. Gleichzeitig ging die Anzahl Säugetiere, Reptilien, Vögel und Fische in der natürlichen Wildbahn um die Hälfte zurück. 12 Arten von domestizierten Säugetieren, darunter Schweine, Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen, beherbergen heute rund 50 Prozent der bekannten zoonotischen Viren.

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Als Reaktion auf die Vogelgrippe und die Ausbreitung des H5N1-Virus zwischen 2004 und 2005 wurden in Asien über 100 Millionen Hühner vorsorglich getötet, um eine globale Pandemie zu verhindern. Im Frühjahr 2004 wurde der ökonomische Schaden alleine für China auf 22 Milliarden US-Dollar geschätzt.

PLOS One, Mai 2009
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Massentötung gegen «Pandemie in der Pandemie»

Auch die Covid-19-Pandemie hat ihren Todeszoll bei Nutztieren gefordert. Im November 2020 gab die dänische Regierung bekannt, dass 15 bis 17 Millionen Nerze gekeult und vergraben werden. Zuvor war eine Mutation von SARS-CoV-2, genannt «Cluster 5», in Nerzen entdeckt worden, die auf den Menschen übergesprungen war. Die Angst war gross, dass die Mutation die Impferfolge zunichte machen könnte, also durch die Nerze quasi eine Pandemie in der Pandemie losgetreten wird.

Die panische Massentötung hatte wenige Monate darauf ein unerwartetes Nachspiel: 13`000 Tonnen Tierkadaver mussten ab Mai 2021 wieder ausgegraben und verbrannt werden, nachdem Fäulnisgase aus der Erde entwichen und eine Verseuchung des Grundwassers drohte.

Dänemarks Nerzindustrie ist am Ende. Viele Unternehmer hatten auf den lukrativen Handel mit den begehrten Fellen gesetzt. Mehr als 1100 Betriebe mit jeweils tausenden von Tieren hatten 40 Prozent der weltweit verkauften Felle produziert. Covid-19 warf ein weiteres Schlaglicht auf das enorme Risiko solcher tierischer Monokulturen.
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Fotos Forschung Tschad





Die ethnischen Fulani am
Tschadsee sind auf Rinder-
haltung spezialisiert. Die Tiere
sind ihr wichtigstes Kapital.
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Das Forschungsteam übernachtet gemeinsam mit den Fulani und ihren Tieren auf dem Feld. «Ich liebe die Feldforschung und die Arbeit mit den Tieren draussen bis heute», sagt der Epidemiologe.
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Im Gespräch mit den nomadischen Viehhaltern. Der Übersetzer (Rücken zur Kamera) leitet eine Krankenstation in der Region und war Zinsstags langjähriges Bindeglied zu den Fulani am Tschadsee.
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Die Rinder trinken am Tschadsee Wasser und lesen dabei Parasiten auf, wie die Bilharziose oder Leberegel.
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Jakob Zinsstag nimmt Stuhlproben, um diese auf Eier von Bilharziose-Parasiten zu untersuchen.
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Zuerst werden die Proben mit
Wasser vermischt, um lösliche
Partikel abzutrennen. Anschliessend
werden die Proben filtriert.
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Die Parasiteneier bleiben im Sediment zurück, das unter dem Mikroskop untersucht wird.

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Der Epidemiologe und seine Doktorandin Helena Greter haben im Feld ein Labor aufgebaut, mit welchem sie die Stuhlproben vor Ort auf Parasiten untersuchen können.
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Zinsstag zeigt einer Projektpartnerin
die Probe unter dem Mikroskop.
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Unter dem Mikroskop sieht man
die typischen spindelförmigen
Eier der Rinderbilharziose.
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Behandlung von Rindern mit einem
Medikament gegen Bilharziose.
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Vertiefung: Globale Investitionen gegen die nächste Pandemie

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Wir Menschen sind unglaublich schlecht darin, unser Verhalten potenziellen Risiken in der Zukunft anzupassen. Das gilt auch in der Pandemieprävention. Politikerinnen und Politiker müsste ihr das nötige Gewicht verleihen und die nötigen Budgets schaffen. Denn sie lohnt sich in vielerlei Hinsicht, vor allem auch wirtschaftlich.

Doch Pandemieprävention ist politisch nicht besonders «sexy». Damit lassen sich keine Wahlen gewinnen. Erst wenn ein Virus wütet, Menschenleben dahinrafft und die humanitären Konsequenzen unübersehbar werden, lässt sich aus der Pandemiebekämpfung auch politisch Kapital schlagen. Selbst wenn es sich dann lediglich um Symptombekämpfung mit Medikamenten, Impfungen und Schutzmassnahmen handelt.

Ein krasses Beispiel: Donald Trump fuhr während seiner Amtszeit Investitionen in die Pandemieprävention bewusst zurück. Im September 2019, drei Monate vor dem Ausbruch von Covid-19 in Wuhan, entzog der Präsident dem weltweit umfassendsten Pandemiefrühwarnsystem «Predict» die Gelder. Dutzende Forschende mussten entlassen werden. Zwar wurde nach dem Auftauchen von SARS-CoV-2 die Finanzierung kurzzeitig wieder hochgefahren, doch der Schaden war bereits angerichtet.

Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Präventionsprogramme in den USA (für mehr Informationen "Klick" auf Logos).

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Predict
Dieses 200-Millionen-US-Dollar-Projekt wurde 2009 von der amerikanischen Entwicklungsagentur USAID gemeinsam mit der University of California initiiert. Umgesetzt wurde es mit der «Eco Health Alliance» in Zusammenarbeit mit Universitäten, Konservierungsprojekten und Naturhistorischen Museen in 30 Partnerländern. Sogenannte «Virusjäger» sammelten weltweit über 140`000 biologische Samples, darunter Schleim und Speichelproben von über 10`000 Fledermäusen und 2000 weiteren Säugetieren. 1200 potenziell zoonostische Viren wurden identifiziert, 160 davon waren neue Coronaviren. Im September 2020 endete das Programm offiziell.

Stop Spillover
Dieses 100-Mio-US-Dollar-Projekt zielt auf ein besseres Verständnis von Zoonosen und deren Risiken ab. Das Monitoring von Viren, das in «Predict» begonnen wurde, wird dadurch weitergeführt. Zusätzlich sollen Test für und Massnahmen gegen die Ausbreitung von Zoonosen entwickelt werden. Das Projekt wird von USAID finanziert und von der Tufts University gemeinsam mit einem globalen Konsortium von Experten und Expertinnen aus Human- und Veterinärwesen und den Umweltwissenschaften umgesetzt.
 

Global Virome Project
Seit Jahren kursieren Ideen für eine Art «Human Genome Project» für Viren. 2016 trafen sich Forschende, UN-Vertreter, Stiftungen und Interessierte aus der Privatwirtschaft und gründeten das «Global Virome Project». Die Vision: 99 Prozent der weltweit vorkommenden Viren mit Zoonose- und Pandemiepotential zu sequenzieren und zu charakterisieren und darauf aufbauend ein Frühwarnsystem zu entwickeln. Die Initiatoren sprechen bereits vom «Anfang des Endes der Pandemie-Ära». Rund vier Milliarden Dollar soll die grosse Sequenzierungsoffensive kosten, also rund 70 Prozent des aktuellen Jahresbudgets der WHO.
 

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Doch was ist sinnvolle Pandemieprävention? Nicht alle sind von den amerikanischen Mammutprojekten begeistert: Im Juni 2018 kritisierten Forschende aus Australien, Grossbritannien und den USA in einem Meinungsbeitrag im Fachmagazin «Nature» den Anspruch des «Global Virome Project» als überrissen und arrogant.

Die Virusgenomsequenzierung werde wenig dazu beitragen, Krankheitsausbrüche besser zu verstehen und diese prognostizieren zu können. Viel einfacher, günstiger und kosteneffektiver sei die aktive Echtzeitüberwachung von aufkommenden Viren in menschlichen Populationen. Jakob Zinsstag und weitere «One Health»-Experten sehen das ähnlich, wobei sie den Fokus auf die Überwachung bei Tieren legen.

Für Zinsstag wirken Mammutprojekte, die sich auf die Virensequenzierung fokussieren, wie Bäume zählen, wenn man den gesamten Wald anschauen sollte. «Das `Global Virome Project` ist vor allem enzyklopädisch, aber keine wirkungsorientierte Forschung», sagt er. «Die Virologen wollen alles sequenzieren. Wir Epidemiologen interessieren uns dagegen für die Schnittstellen der Übertragung – dort liegt der Schlüssel zur Pandemieprävention.»
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«Studien zur Diversität von Viren sind lediglich der erste Schritt in der Forschung für eine bessere Pandemievorbereitung. Der Fokus muss auf dem Tierbestand und Zwischenwirten liegen.» 


Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin





 
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Auf globaler Ebene wurden zuletzt Forderungen laut, dass es ähnlich wie beim Klima (IPCC) und der Biodiversität (IPBES) ein zwischenstaatliches Gremium für die Pandemieprävention geben sollte. Dieses könnte die Koordination in der Zoonose- und Pandemiebekämpfung zwischen den Staaten erleichtern und Vorgaben machen, wie «One Health» in den Gesundheitssystemen operationalisiert werden kann.  

Eine sofort umsetzbare praktische Massnahme wären «One Health Impact Assessments» (OHIA), vergleichbar mit den heute gängigen Umweltverträglichkeitsprüfungen (EIA). Bei Grossprojekten mit weitreichenden Auswirkungen auf die Umwelt, wie dem Bau von Pipelines, Staudämmen oder Strassen, würde zuerst abgeklärt, welche Auswirkung diese auf die Gesundheit von Tier, Mensch und Umwelt hätten – und inwiefern sie Zoonosen begünstigen könnten.

Besonders Entwicklungs- und Schwellenländern könnten von solchen OHIAs profitieren. Dort werden Milliarden in Landwirtschafts-, Industrie-, Energie- und Transportinfrastruktur investiert – oft in äusserst biodiversen Regionen und verletzlichen Ökosystemen.

Experten und Expertinnen des UN-Biodiversitätsrates (IPBES) fordern in einem Sonderbericht zu den Wechselwirkungen zwischen Biodiversität und Pandemien vom Oktober 2020, wirtschaftliche Kosten von Pandemierisiken auf die Produktion und den Preis von Konsumgütern abzuwälzen. Das hiesse konkret: Ein Stück Rindfleisch, dessen Produktion auf Sojaanbau aus Brasilien beruht, welcher die Rodung von Regenwald vorantreibt, die Biodiversität minimiert und dadurch das Pandemierisiko anheizt, würde deutlich teurer.

Das hätte auch eine sozialreformerische Komponente: Damit würden diejenigen für künftige Pandemien bezahlen, die am meisten zur Umweltzerstörung und den damit einhergehenden Risiken für Zoonosen beitragen: die Reichen.

Im Bericht des UN-Umweltprogramms zu Zoonosen aus demselben Jahr wird die Agrarökologie als Mittel zur Pandemiebekämpfung ins Spiel gebracht. Eine Landwirtschaft, die auf Biodiversität anstelle von Monokulturen setzt und dazu beiträgt, dass Wildtierhabitate erhalten werden, könnte einen wichtigen Beitrag zur Pandemieprävention leisten. Das Umweltprogramm fordert deshalb auch eine Abkehr von Subventionen für die industrialisierte, auf Monokulturen beruhende Landwirtschaft, wie sie vielerorts bis heute gängig sind. So auch in der Schweiz.  
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«Covid-19 ist weder die erste noch die letzte Gesundheitskrise, die wir erleben werden. Meine Kollegen und Kolleginnen aus der Forschung schätzen, dass wir von nun an mindestens alle fünf Jahre eine Pandemie oder Gesundheitskrise erleben werden. Und das könnte das optimistische Szenario sein – die Realität könnte noch viel schlimmer sein.»

Sally Davies, Ärztin und ehemalige «Chief Medical Officer» (CMO) von England
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One Health in der Schweiz

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Im beschaulichen Mittelhäusern, 13 Kilometer südwestlich von Bern, liegt zwischen verstreuten Bauernhöfen das Labor des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI). Es ist ein Referenzlabor für die Diagnose, Kontrolle und Erforschung von hochansteckenden viralen Tierseuchen in der Schweiz. Im Labor mit der Sicherheitsstufe 4 kann mit Ebola- oder Lassaviren hantiert werden und seit Jahren forschen Biologen, Virologinnen, Mikrobiologen und Immunologinnen an hochansteckenden Coronaviren im Tier.

Auch deshalb gelang es einem Team bereits Mitte Februar 2020 einen synthetischen Klon von SARS-CoV-2 herzustellen. Basis dafür war eine Virussequenz die aus einem Patienten im chinesischen Wuhan isoliert worden war und nach Mittelhäusern geschickt wurde. Dutzende von Forschungsgruppen weltweit nutzten den Klon daraufhin für ihre eigene Covid-19-Forschung.

Wir wollten von Barbara Wieland, der neuen Leiterin des Instituts für Virologie und Immunologie wissen, wie gross sie die Gefahr von Zoonosen für die Schweiz einschätzt.
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Fehlende nationale Strategie gegen Zoonosen

Fragen der Veterinär- und Humanmedizin sind in der Schweiz zwar seit 2012 im selben Departement angesiedelt, doch die beiden Bundesämter funktionieren weitgehend autonom. Hier das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dort das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Dies widerspricht der Idee einer «One Health», mit integrierter Tier- und Humanmedizin.

Eine Ausnahme gibt es im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Am 18. November 2015 hat der Bundesrat die «Strategie Antibiotikaresistenzen» (StAR) verabschiedet, die sich explizit auf einen «One Health»-Ansatz bezieht. Im gleichen Jahr wurde ein Nationales Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz – ein One-Health-Ansatz» (NFP 72) lanciert. 2016 begann die Umsetzung unter Beteiligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG), des Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Im Vorwort der Strategie schreibt Bundesrat Alain Berset, dass Humanmedizin, Tiermedizin, Landwirtschaft und Umwelt enger zusammenarbeiten müssten, nur so sei die Eindämmung der Antibiotikaresistenzen möglich. Sozusagen in Plädoyer für «One Health».

Umso erstaunlicher ist, dass es bis heute keine solche nationale «One Health»-Strategie für zoonotische Infektionskrankheiten gibt. Zwar wurde 2017 ein «Unterorgan One Health» gegründet, das laut Gründungsdokument explizit auf das Monitoring und die Eindämmung von Zoonosen und Vektoren von Infektionskrankheiten ausgerichtet ist. Laut Statuten ist das Ziel der «Austausch von Erfahrungen im Bereich One Health und die Nutzung von Synergiepotentialen». Weiter soll die Kommunikation von «One Health»-Themen gefördert werden. Mitglieder sind wiederum Vertreter des BLV, des BAG, des BAFU und des BLW, zudem Veterinäre und Chemiker der Kantone sowie der Chef Veterinärmedizin der Armee.

Zwischen 2017 und 2021 hat das Unterorgan zwölf Sitzungen und mehrere Workshops abgehalten. Im Protokoll des Workshops vom 5. Juli 2021 ist nachzulesen, dass die Mitglieder die Gründung eines Gremiums «One Health Schweiz» planen, das von einer wissenschaftlichen Expertengruppe begleitet wird. «Der Wille zum Aufbau der bestmöglichen Struktur One Health Schweiz ist spürbar!», steht am Ende des Protokolls. Sechs Monate später heisst es auf Anfrage beim BLV, es gäbe derzeit noch keinen Entwurf für die Struktur des Gremiums. Vorerst arbeite man im Unterorgan weiter wie bisher.

Das Unterorgan «One Health» hat ein Sekretariat, das dem BLV angegliedert ist, und in einem Teilpensum von der Gruppe von Katharina Stärk, Leiterin Tiergesundheit beim BLV, geführt wird. Wir haben bei ihr nachgefragt, welche Ziele dieses «Unterorgan» verfolgt und welche Rolle diesem bei der aktuellen Pandemie zukam.    

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1 Zoonosen

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«Zoo…, was?» Diese Frage haben wir in den letzten Monaten oft gehört, wenn wir jemandem von unserer Recherche erzählt haben. Wenige können mit dem Begriff «Zoonose» etwas anfangen. Das ist erstaunlich, denn sie haben die Geschichte der Menschheit geprägt und standen mehrmals am Beginn von grossen gesellschaftlichen Umbrüchen.

  • Die Beulenpest Mitte 14. Jahrhundert, die einen Drittel der europäischen Bevölkerung auslöschte, ging auf den Erreger Yersinia pestis zurück, ein zoonotisches Bakterium.
  • Die grossen Tuberkuloseausbrüche in Europa im 19. Jahrhundert, an welcher jeder und jede vierte starb, wurden u.a. durch zoonotische Mykobakterien verursacht (zusätzlich zur menschlichen Tuberkulose). Eine wichtige Ursache für die Seuche war die Industrialisierung und Verstädterung, wodurch Millionen von Menschen bei schlechten hygienischen Verhältnissen in engen Kontakt kamen. Bis heute sterben jährlich über eine Million Menschen an Tuberkulose, vor allem in Entwicklungsländern.
  • Die bis heute andauernde Aids-Pandemie geht ebenfalls auf eine Zoonose zurück. Die natürlichen Wirte des HI-Virus sind Fledermäuse. Genetische Proben zeigen, dass das Virus bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts in entlegenen Dörfern im Urwald der Demokratischen Republik Kongo auf den Menschen übergesprungen ist. Doch erst in den 1980er-Jahren, befeuert durch zunehmende Mobilität und günstigen Flugverkehr, konnte sich das HI-Virus global ausbreiten und daraus eine Pandemie werden. Ende 2020 lebten weltweit 38 Millionen Menschen mit einer Infektion, zwei Drittel davon in Afrika.
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Das Wort Zoonose ist eine Verschmelzung der beiden griechischen Wörter zoon für Tiere und noson für Krankheit. Entsprechend sind Zoonosen Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen (Zooanthroponose) oder in selteneren Fällen auch vom Menschen auf ein Tier (Anthropozoonose) übertragen werden. Dieser Virensprung kann direkt erfolgen, zum Beispiel durch einen Hundebiss im Fall von Tollwut. Oder auch über einen Zwischenwirt, wie beim Westnilvirus, das ursprünglich in Wildvögeln vorkommt, und von Mücken auf den Menschen übertragen wird (indirekte Zoonose).

Krankmacher, die von Tieren auf den Menschen überspringen, sind vor allem Viren, wie HIV oder SARS-CoV-2, und Bakterien, wie Tuberkulose, Borreliose oder Milzbrand. Zoonotische Übertragungen geschehen durch direkten Kontakt mit Blut, Speichel, Fäkalien oder weiteren Körperflüssigkeiten von lebendigen oder toten Tieren, zum Beispiel beim Schlachten. Zoonotische Erreger können aber auch durch Wasser und tierische Lebensmittel, wie Milch, Eier oder ungenügend gekochtes Fleisch, übertragen werden.
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Expertinnen und Experten schätzen, dass rund 1.7 Millionen Viren in Säugetieren und Vögeln vorkommen, die uns noch nicht bekannt sind. Davon haben zwischen 540`000 und 850`000 ein zoonotisches Potential und könnten auf den Menschen überspringen.

Workshop Report on Biodiversity and Pandemics of the Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES)
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Zunehmendes Zoonose-Risiko

2008 erlangte die Studie einer Gruppe um die Umweltwissenschaftlerin Kate Jones und den Zoologen Peter Daszak unter Epidemiologen und Virologinnen Weltberühmtheit: Den Forschenden war es erstmals gelungen, die rapide Zunahme von Infektionskrankheiten in Zahlen zu fassen und diese lokal zu verorten. In der Zeitspanne zwischen 1940 bis 2004 identifizierten sie 335 neue Erreger, darunter mutierte Versionen bekannter Pathogene, wie Tuberkulose und komplett neue Erreger, wie HIV.

Über 60 Prozent der Erreger beim Menschen gingen auf Zoonosen zurück und 72 Prozent davon hatten ihren Ursprung in Wildtieren (darunter SARS und das Ebola-Virus). Was besonders besorgniserregend war: Ihre Studie zeigte einen signifikanten Anstieg neuer Krankheitserreger über die Zeit. Während des Peaks in den 1980er-Jahren wurden beinahe fünfmal so viele neue Erreger registriert wie noch 1940.

Als Ursache für die Zunahme von Zoonosen nannten die Forschenden sozioökonomische Faktoren (Bevölkerungswachstum und Verdichtung), umweltbedingte Faktoren (Höhe und Regenfall) und ökologische Faktoren (Diversität bei den Wildtieren).
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In den letzten zwei Jahrzehnten kam es alle vier bis fünf Jahre zu grösseren globalen Ausbrüchen von Infektionskrankheiten, darunter SARS, H1N1, MERS und Covid-19. Dies zusätzlich zu HIV/Aids und Ebola mit 29 regionalen Ausbrüchen in 50 Jahren.

G20: A global deal for our pandemic age, Juni 2021
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Umwelt und Zoonosen

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Die aktuelle Zerstörung der Natur sei in der Geschichte der Menschheit beispielslos, warnte die UN im Mai 2019. Soeben war der bislang umfassendste Bericht zum Stand der globalen Ökosysteme und Biodiversität des UN-Weltbiodiversitätsrats (IPBES) erschienen. 455 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen und über 50 Ländern hatten drei Jahre lang über 15`000 Berichte von Forschenden und Behörden systematisch analysiert. Ihr Fazit: Der Verlust der biologischen Vielfalt auf der Erde schreitet im Rekordtempo voran. Eine Million Tier- und Pflanzenarten stehen kurz vor dem Aussterben. Wichtige Treiber dieses Trends: Die industrialisierte Landwirtschaft und die Waldrodung.  

Ein Jahr später trugen Expertinnen und Experten für das Umweltprogramm der UN (UNEP) die Ergebnisse von 167 Studien zur Herkunft von Zoonosen und den Ursachen von Pandemien zusammen. Sie kamen zum Schluss, dass der enorme Verlust an Biodiversität und Waldflächen die Häufung von Zoonosen und des damit verbundenen Pandemierisikos stark antreibt. «Pandemien, wie der Covid-19-Ausbruch, sind voraussehbare und vorausgesagte Folgen davon, wie Menschen Nahrungsmittel produzieren, Handel treiben, Tierfleisch konsumieren und ihre Umwelt verändern», heisst es im Bericht. 


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Aktuell werden jährlich rund 10 Millionen Hektaren Wald pro Jahr zerstört. Dahinter stehen vor allem internationale Konzerne, die auf den gerodeten Flächen lukrative Handelsgüter, wie Palmöl, Gummi, Soja oder Fleisch produzieren.

UNEP-Bericht zur Pandemieprävention, Juli 2020


 
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Landkäufe als Pandemierisiko

Markus Giger ist Agroökonom und forscht am «Center for Development and Environment» der Universität Bern zu Fragen der Umwelt und Nachhaltigkeit. Mit Viren und Zoonosen hatte er wenig am Hut – zumindest bis vor kurzem. Seit 2012 dokumentiert Giger im Rahmen der internationalen «Land Matrix Initiative» den Handel mit grossen Landflächen akribisch in einer Datenbank. Anhand der Daten wird ersichtlich, wie sich die Landverkäufe über die Zeit entwickelt haben, wer die Käufer und Verkäufer sind und wie sich die Landkäufe auf die Natur auswirken.

Bis November 2020 waren in der Datenbank 2485 abgeschlossene grossflächige Landverkäufe registriert, die mehr als 200 Hektaren Land umfassen, und Staaten mit tiefen und mittleren Einkommen betreffen, vor allem in Afrika, Südostasien und Lateinamerika. Von den insgesamt 43 Millionen Hektaren Land werden über 70 Prozent für die Produktion von Exportgütern für internationale Märkte genutzt, vor allem Palmöl, Futtermittel und Rindfleisch.

Letztes Jahr hat Giger erstmals die kartierten Daten der Landverkäufe (siehe Grafik / Giger M. et al. 2021) aus seiner Matrix mit einer Karte der globalen Biodiversitäts-Hotspots überlagert. Das Ergebnis: 87 Prozent der Landdeals betrafen Regionen mit mittlerer bis hoher Biodiversität. Zudem beinhalten über 30 Prozent der Deals geschütztes Land oder solches, das an geschützte Gebiete angrenzt.

Wir haben bei Markus Giger nachgefragt und wollten wissen, wie der Forscher die aktuellen Daten einschätzt.

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30 Prozent der Infektionskrankheiten, die seit 1960 entdeckt wurden, können auf Landveränderungen zurückgeführt werden, vor allem auf Waldrodungen, Urbanisierung und die Ausdehnung von Landwirtschaft.

IPBES-Bericht zu Biodiversität und Pandemien, Oktober 2020




 
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In Markus Gigers Datenbank findet sich zum Beispiel Deal No. 1166 – ein Landkauf für die Palmölproduktion in der Republik Kongo. Die 180`000 Hektaren Land (über 250`000 Fussballfelder) umfassen riesige Stücke von bisher unberührtem Regenwald und sie grenzen an zwei Nationalparks. Investor ist «Atama Resources» aus Mauritius, eine Firma, die Fonds auf den Britischen Virgin Islands und in Malaysia verwaltet. Die grossflächige Palmölproduktion, für die das Land gekauft wurde, hat noch nicht begonnen. Aber Sattelitenbilder zeigen, dass bereits eine Zugangsstrasse gebaut und erste Rodungen durchgeführt wurden.

Über solche Strassen kommt der Mensch in Kontakt mit Wildtieren und deren Viren und trägt Pathogene in dicht bewohnte Gebiete. Sie sind Korridore für Pathogene, welche das Risiko von zoonotischen Übersprüngen und Krankheitsausbrüchen stark erhöhen. 
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Ein Fressen für Generalisten

In biodiversen Gebieten fungiert der Reichtum an unterschiedlichen Tieren und Pflanzen als Puffer für Pathogene; Viren können sich nur langsam ausbreiten. Das Abbrennen von Wäldern für Palmöl- und Soja-Monokulturen vermindert diese Pufferkapazität. Studien zeigen, dass sich in Ökosysteme, die durch den Menschen stark verändert wurden, Wirte von zoonotischen Krankheiten besser ausbreiten können und das Überspringen von Pathogenen zwischen Wildtieren, Nutztieren und dem Menschen begünstigen. Das zeigt sich zum Beispiel beim regelmässigen Aufflammen des Ebola-Virus seit den 90er-Jahren. Die Ausbrüche betrafen meist Orte in Zentral- und Westafrika, wo zuvor grosse Waldrodungen stattgefunden hatten.

Infolge der Waldzerstörung nehmen spezialisierte Tierarten, wie Affen, rapide ab. Angepasste Arten, sogenannte Generalisten, darunter viele Nagetiere und Fledermäuse, breiten sich dagegen aus. Sie sind als pathogene Reservoirs bekannt, in welchen sich Pathogene vermehren können, ohne dass die Träger selbst daran erkranken oder sterben. Solche Generalisten stehen oft am Ursprung von direkten oder indirekten Zoonosen.

Generalisten können sich relativ gut an zerstörte Habitate mit kleiner Biodiversität anpassen. Werden sie verdrängt, so können sie sich auch in Dörfern oder an Stadträndern in unmittelbarer Nähe zum Menschen ansiedeln.

Simone Sommer ist Professorin für Evolutionäre Ökologie und Naturschutzgenetik an der Universität Ulm. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit den Effekten von Umweltveränderungen auf Wildtiere und die Zunahme von zoonotische Krankheiten. Mit molekulargenetischen Sequenzierungsverfahren untersucht sie eine Vielzahl verschiedener Krankheitserreger und Veränderungen der immungenetischen Vielfalt, besonders im Mikrobiom, also der Gemeinschaft an Darmbakterien. In grossangelegten, mehrjährigen Studien im südlichen Afrika, in Brasilien und derzeit in Panama untersucht Sommers Team, welche Auswirkungen Veränderungen der Landnutzung sowie die Zerstörung von Ökosystemen auf die Ökologie und Gesundheit von Wildtieren haben.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie aus Panama konnten die Forschenden bei Stachelratten zeigen, dass die Fragmentierung von natürlichen Habitaten zu Veränderungen bei der Regulierung der Darmflora geführt hat. Die Darmflora ist entscheidend für die Gesundheit von Mensch und Tier. Negative Veränderungen erhöhen die Anfälligkeit für Infektionen und begünstigen Zoonosen.

Zwar können sich Nagetiere relativ gut an veränderte Umweltbedingungen anpassen, doch mit dem hohen Tempo der Umweltveränderungen im Anthropozän können auch sie nicht mehr Schritt halten. Sommer deutet die Ergebnisse aus Panama als Warnung vor einer weiteren Zunahme von Epidemien und Pandemien mit zoonotischem Ursprung.
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Audio: In einem Podcast für die Ausstellung «Earth Beats» des Kunsthaus Zürich erklärt Simone Sommer, weshalb die Natur systemrelevant für unsere Gesundheit ist.

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Gutes Klima für Zoonosen

Der Verlust an Biodiversität, die sich verschärfende Klimakrise und die Zunahme von Zoonosen sind eng miteinander verbunden. Die globale Erhitzung treibt nicht nur Tiere aus ihren Habitaten – und mit ihnen auch pathogene Erreger – sondern sie schafft auch bessere Lebensbedingungen für Krankheitsüberträger (Vektoren). Darunter Zecken, die Borreliose übertragen, eine bakterielle Infektion, die zu Hirn- und Hirnhautentzündungen führen kann. Oder die Anopheles-Mücke, die Malaria überträgt.

Viele zoonotische Krankheiten verbreiten sich bei warmem, feuchtem Klima besonders gut. Deshalb dringen heute Viren in Gebiete vor, die zuvor als sicher galten. Zum Beispiel das Westnilvirus, das im Hitzesommer 2018 in Süddeutschland zum ersten Mal entdeckt wurde. Der Erreger ist in weiten Teilen Afrikas und Asiens heimisch. In den 1990er-Jahren gelangte er zudem in die USA, wo sich das Virus rasch ausbreitete. Seit wenigen Jahren mehren sich die Fälle auch in Europa.

Im gleichen Jahr wurden in Deutschland auch erstmals zwei neue Zeckenarten registriert, die eigentlich in Afrika und Asien heimisch sind. Wahrscheinlich waren sie durch Zugvögel eingeschleppt worden. Gut möglich, dass dies schon früher passierte, doch erst jetzt, aufgrund der höheren Temperaturen, konnten diese in Deutschland überhaupt überleben.

Klimaschutz ist auch Pandemieschutz, soviel ist klar. Der Waldschutz, insbesondere im tropischen Gürtel, gehört zu den wirksamsten Massnahme gegen die fortschreitende Klima- und Biodiversitätskrise. Wälder absorbieren über Photosynthese riesige Mengen an Kohlendioxid. Gleichzeitig sind sie Schutzwälle gegen zukünftige Zoonosen.

Im Vergleich zu den Kosten einer Pandemie sind diejenigen für den Schutz der Arten und des Klimas tief. Politische Massnahmen gegen die Entwaldung und den Wildtierhandel während zehn Jahren würden lediglich zwei Prozent der Massnahmen gegen die aktuelle Covid-19-Pandemie kosten, zu diesem Schluss kam ein Team aus Ökologen und Ökonominnen in einer 2020 im Fachmagazin «Science» publizierten Studie.

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«Die wissenschaftlichen Fakten sind eindeutig: Wenn wir weiterhin Wildtiere ausbeuten und unsere Ökosysteme zerstören, dann können wir in den kommenden Jahren mit einer kontinuierlichen Zunahme von solchen Krankheiten rechnen, die von Tieren auf den Menschen überspringen.»

Inger Andersen, Direktorin des «United Nations Environment Programme» (UNEP)


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Zögerliche Schritte Richtung integrierter Gesundheit

Fragen der Veterinär- und Humanmedizin sind in der Schweiz zwar seit 2012 im selben Departement angesiedelt, doch die beiden Bundesämter funktionieren weitgehend autonom. Hier das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dort das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Dies widerspricht der Idee einer «One Health», mit integrierter Tier- und Humanmedizin.

Eine Ausnahme gibt es im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Am 18. November 2015 hat der Bundesrat die «Strategie Antibiotikaresistenzen» (StAR) verabschiedet, die sich explizit auf einen «One Health»-Ansatz bezieht. Im gleichen Jahr wurde ein Nationales Forschungsprogramm «Antimikrobielle Resistenz – ein One-Health-Ansatz» (NFP 72) lanciert. 2016 begann die Umsetzung unter Beteiligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG), des Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Im Vorwort der Strategie schreibt Bundesrat Alain Berset, dass Humanmedizin, Tiermedizin, Landwirtschaft und Umwelt enger zusammenarbeiten müssten, nur so sei die Eindämmung der Antibiotikaresistenzen möglich. Sozusagen in Plädoyer für «One Health».

Umso erstaunlicher ist, dass es bis heute keine solche nationale «One Health»-Strategie für zoonotische Infektionskrankheiten gibt. Zwar wurde 2017 ein «Unterorgan One Health» gegründet, das laut Gründungsdokument explizit auf das Monitoring und die Eindämmung von Zoonosen und Vektoren von Infektionskrankheiten ausgerichtet ist. Laut Statuten ist das Ziel der «Austausch von Erfahrungen im Bereich One Health und die Nutzung von Synergiepotentialen». Weiter soll die Kommunikation von «One Health»-Themen gefördert werden. Mitglieder sind wiederum Vertreter des BLV, des BAG, des BAFU und des BLW, zudem Veterinäre und Chemiker der Kantone sowie der Chef Veterinärmedizin der Armee.

Zwischen 2017 und 2021 hat das Unterorgan zwölf Sitzungen und mehrere Workshops abgehalten. Im Protokoll des letzten Workshops am 5. Juli 2021 ist nachzulesen, dass die Mitglieder die Gründung eines Gremiums «One Health Schweiz» planen, das von einer wissenschaftlichen Expertengruppe begleitet wird. «Der Wille zum Aufbau der bestmöglichen Struktur One Health Schweiz ist spürbar!», steht am Ende des Protokolls. Sechs Monate später heisst es auf Anfrage beim BLV, es gäbe derzeit noch keinen Entwurf für die Struktur des Gremiums. Vorerst arbeite man im Unterorgan weiter wie bisher.

Das Unterorgan «One Health» hat ein Sekretariat, das dem BLV angegliedert ist, und in einem Teilpensum von der Gruppe von Katharina Stärk, Leiterin Tiergesundheit beim BLV, geführt wird. Wir haben bei ihr nachgefragt, welche Ziele dieses «Unterorgan» verfolgt und welche Rolle diesem bei der aktuellen Pandemie zukommt.    

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